[1] Wie eine Fliege im Donaudelta

Ein bisschen affig mutet es ja schon an: im Museum Wiesbaden sitzen Kleingrüppchen interessierter Festivalbesucher mit VR-Brillen und Kopfhörern ausgestattet und verrenken sich aufs Wildeste den Hals. Immerhin bieten die experimentellen Kurzfilmprojekte ganze 360° visueller Information – viel fürs Auge, oft etwas zu viel für den Gleichgewichtssinn, wie jedem schnell bewusst wird. Die immersive und teils interaktive Experience wird versprochen, eingelöst wird zumindest das Versprechen nach der ein oder anderen ungewohnten Seh- oder Teilnahmeerfahrung.
Geradewegs in ein ESC-Ankündigungsvideo transportiert fühle ich mich, als animierte Scherenschnitt-Figuren in einer quietschbunten Fantasielandschaft wild um mich herumtanzen, während ich etwas irritiert vor einem weiß gekleideten Rapper sitze, der mir zu lauschiger Jazzuntermalung finnisch-karelische Volkssagen näher bringen will (THEATERVR KALEVALA.EPISODES).
Ein ehrenwertes Konzept aus Belarus, bei dem reale Notrufe von Opfern häuslicher Gewalt während eines Rundgangs durch ein fiktives Wohnhaus in albtraumhafte Tilt-Brush-Animationen überführt werden, krankt leider an einer etwas holprigen Umsetzung, deren hoher Verfremdungsgrad den Zuschauer eher von den Schicksalen distanziert als ihn zu affizieren (UNPARALLEL REALITY). ROCKETMAN 360 beginnt direkt mit den Ankündigungen seiner zahlreichen Festivalteilnahmen und Wettberwerbsnominierungen, wohlwissend dass die folgenden 20 Minuten dem Zuschauer statt atemberaubender Weltraumbilder eine höchst oberflächliche und technisch enttäuschende Social-Media-Lovestory servieren.
Vollkommen außer Konkurrenz spielt THE WETLAND, der mich mit einer meditativen Ruhe in unberührte Landschaften des rumänischen Donau-Deltas entführt. Von einer Sekunde auf die nächste habe ich das Stimmengewirr um mich herum ausgeblendet, bade im warmen Licht der Abendsonne, während der Wind sanft durch die Felder rauscht. Kühe werden an mir vorbeigetrieben. Diesmal kann ich die Wärme, den Wind, die Luft tatsächlich spüren. Ich fahre mit auf einem Boot, das sich gemächlich über den Fluss bewegt, docke an, beobachte Kinder, die am Ufer spielen, sitze plötzlich in einem Wohnzimmer direkt vor einem milde lächelnden, älteren Paar. Im Hintergrund werden Volkslieder gesungen, in einer blau gestrichenen Taverne spielt ein Mann Akkordeon. Leerstehende Häuser erfüllen mich mit einer seltsamen Friedlichkeit. Einzig die Schnitte sind manchmal schneller als mir lieb ist, reißen mich bereits in die nächste Impression bevor ich mich orientieren und den Moment lange genug wirken lassen konnte. Aber dennoch: das intime Erleben dieses himmlischen Stückchen Erdes und seiner Bewohner gibt dem Fly on the wall-Prinzip eine ganz neue Dimension. In allen möglichen und unmöglichen Perspektiven bin ich mittendrin an diesem ursprünglichen Ort, nehme Teil, fahre auf dem Lenker der Rollers mit, werde angesehen, ohne gesehen zu werden. Hier finde ich es endlich, das Mehr das VR als Medium über ein ganz ansprechendes technisches Gimmick hinaus bieten kann.
Was die anderen Eindrücke betrifft: nett war das Ganze definitiv. Die Ausstellung von Frank Herforts „Eastern Fairytales“ – Fotografien an der Seitenwand des Veranstaltungsraums hat ganz ohne Interaktivität meine Fantasie jedoch nachhaltiger angeregt.

Bilquis Manias

[2] Ich drehe mich um mich selbst

Ich drehe und wende mich. Erst nach links, dann plötzlich nochmal nach rechts und muss laut lachen. Meinen Kopf werfe ich hoch und wieder runter, dann drehe mich von Neuem um mich selbst um nichts zu verpassen- irgendwie suchend und alles in mich aufsaugend was meine Sinne gerade wahrnehmen können.
Eine extravagante, von elektronischen Bässen erzitternde Location passt zu diesem Szenario, oder vielleicht ein von Rauch vernebelter Club in später Nacht. Dabei sitze ich entspannt in einem gepolsterten Drehsessel eines Museums, die Beine locker überschlagen und meinen Kaugummi kauend. Ich bin von meiner Außenwelt gänzlich abgeschirmt, trage Kopfhörer und eine Virtual Reality-Brille, die in mir solche Reaktionen und Empfindungen auslöst, ohne dass ich mich groß bewegen muss. Ich stoße mich lediglich von Zeit zu Zeit mit meinem Fuß ab, um eine erneute Runde um mich selbst zu drehen.
Mal finde ich mich wieder in den unendlich schimmernden und kraftvoll leuchtenden Weiten des Weltalls die mich gänzlich umschließen. Dann auf einem ruhigen über dem Wasser dahingleitenden Holzkahn der mich in Spähren entführt die in goldenes Sonnenlicht getaucht sind, die mich berühren und verweilen lassen wollen.
Ich fühle mich losgelöst, schwebend und doch irgendwie einsam. Ich bin Beobachterin und zeitgleich die einzige Teilhabende, an dem was ich sehe, obwohl die Leute um mich herum dasselbe sehen wie ich. Aber weder höre noch sehe ich die anderen, ich kann mich nicht austauschen, nicht sehen was sie fühlen, was sie denken, nicht mit ihnen interagieren. Gefällt mir das? Mag ich den Druck der Geräte, der auf meinem Kopf lastet? Ich weiß es nicht, und doch ist es eine Erfahrung die nur ich mache und nur für mich. Eine Erfahrung ohne Angst haben zu müssen, unangepasst zu reagieren, im falschen Moment laut zu lachen oder der Wucht der Masse zu unterliegen.

Lara Hanuscheck

[3] Größenverhältnisse

Im echten Leben bin ich nur 1,55 groß. Was natürlich super witzig ist, weil sich dann alle runterbeugen können, um zu fragen, wie’s denn „hier unten“ so läuft. Ich kann ja nicht erwarten, dass erwachsene Menschen irgendwann auf den Trichter kommen, dass der Witz eventuell nicht mehr ziehen könnte. Einfach weil ich ihn schon 783 Mal gehört habe, heißt das ja nicht, dass er weniger komisch ist – dumm von mir.
Während sich nun alle fröhlich zu mir hinneigen wie zu einem verwirrten Kleinkind, ist es für mich leider andersrum um einiges schwerer die Perspektive des Gegenübers einzunehmen. Omas mit 1,60m Körpergröße, die aus unerfindlichen Gründen das Bedürfnis zu verspüren scheinen, mich wie ihre achtjährigen Enkel zu behandeln, haben vermutlich nicht eine so viel spannendere Aussicht als ich. Aber wie geht es denn den durchschnittsgroßen Mitmenschen? Was genau die Durchschnittsgröße der deutschen Bevölkerung ist, weiß ich gar nicht, ist mir aber auch egal, denn es sind eh alle größer als ich.
Einerseits habe ich mit meiner Winzigkeit scheinbar die freie Auswahl bei der Männersuche, denn zum Beispiel 1,75m große heterosexuelle Frauen brauchen ja einen mindestens 1,80m großen Freund, oder so. Weiß man ja. Weiß frau ja. Wissen alle. Raum-Zeit-Kontinuum und so. Andererseits wird auch öfters über meinen Kopf hinweggeredet, was mir ähnlich wenig bringt, wie diese sonderbare ungeschriebene Größenabgleichtabelle.
Und was hat das mit dem goEast Filmfestival zu tun – abgesehen davon, dass ich mich in alten Kinosälen gerne auf mehrere Jacken setze? Ganz einfach: Dank der Virtual Reality Filme, die noch bis 16.04 im Museum Wiesbaden zu sehen sind, kann ich die Welt auch endlich mal aus 1,80m Höhe wahrnehmen. Und das ist schon irgendwie ganz cool.

Alice Nagel

[4] VR-Madness

Ich drehe und ich wende mich
Alle Sinne sind geblockt.
Von außen ziemlich lächerlich
Lauf ich wie ein blinder bock
durch andre Welten weit entfernt,
ALs hätte ich Realität verlernt.

Schwebe über rumänische Landschaft
den Kühen hinterher.
Ihr Freund wird zum Mars gesandt
Schauspielen fällt ihr schwer.

Hab einen Folklore-trip im Weltall
und Nonnen umzingeln mich im Wald.
Aus einer Schusswunde kommt ein Blutschwall,
berichte über Sowjetarmee-Gewalt.

Meine Erfahrung mit Virtual Reality,
was eine sonderbare Technology.
Nie gedacht das ich sowas Mal seh
aber jetzt tut mir der Nacken weh.

Paula Jungklaus

 

Das Projekt ist Teil der OPEN FRAME AWARD Ausstellung im DFF FRankfurt und im Museum Wiesbaden. Informationen zu allen Filmen finden Sie: Hier.

Museum Wiesbaden
11.04. bis 16.04. 

Öffnungszeiten: Di & Do, 10:00 – 20:00
Fr, 10:00 – 17:00 Sa bis Mo, 10:00 – 18:00

DFF, Frankfurt
03.04. bis 07.04. 

Öffnungszeiten: Mi, Do, Sa, So, 10:00 – 18:00 Fr, 10:00 – 20:00