Ein Arbeitsmarkt irgendwo in China. Über Megaphon, Mikros und Lautsprecher werden verschiedene Jobs angepriesen: Verpacken von Vape Pens, Huawei-Handys, Alter mindestens 18, höchstens 38, Mindestkörpergröße 1,75, Standing Jobs, Sitting Jobs, 16 Yuan pro Stunde. Die Arbeitswilligen werden in Bussen an ihre Zielorte gebracht (“get on the Huawei Bus!”). Ein LED-Laufbanner verkündet: “Work hard, and all the wishes come true”. Dann die Fabriken. PET-Flaschen, Kappen von Covid-Tests, Handyscreens, Jeans. “Work harder, no more chit-chatting or I will sell you off”, sagt eine Stimme aus dem Off. Eine Stickmaschine stickt im Rekordtempo “Keep America Great” auf ein Stück Stoff.

Ästhetisierte Bilder von Arbeit, dem Rhythmus der Fabriken, Mensch und Maschine, Mensch als Maschine – das alles ist nichts Neues. In der Filmgeschichte finden sich viele Beispiele, von Ruttmanns „Berlin”-Symphonie bis zu Glawoggers „Workingman’s Death”. Die Aufnahmen von Regisseurin und Kamerafrau Jessica Kingdon sind dennoch fesselnd, es ist eine warme, farbenfroh düstere Welt, die sie uns zeigt. Die ersten 30 Minuten des Films machen deutlich, was “Made in China” heute bedeutet. Doch der Film erschöpft sich nicht in der Darstellung prekärer Arbeit, sondern folgt dem chinesischen Aufstiegsversprechen durch verschiedene Klassen. Diese “Ascension” ist als dramaturgisches Prinzip des Films überzeugend. Händler:innen verkaufen Beautyprodukte oder Schuhe im Online-Livestream. Selbst-Monetarisierung heißt das Zauberwort – auf den Punkt bringt das die Leiterin eines Managementseminars: “No matter how ordinary you are, you can still become your own brand!”

Das alles ist für sich genommen sehr interessant, allerdings nicht unbedingt chinaspezifisch, und genau darin liegt das Problem des Films. Die Absurdität moderner Arbeitswelten in industrialisierten Gesellschaften hat eine Komik; warum aber ausgerechnet über China lachen, das noch immer als “das Andere” des Westens exotisiert ist? Die Filmemacherin ist eine amerikanische Regisseurin mit chinesischen Vorfahren, die kein Chinesisch spricht und für die Dreharbeiten zum ersten Mal nach China fuhr. Es ist keine gute Idee, aus dieser Position heraus einen Dokumentarfilm über „Arbeit in China” zu machen, diesem riesigen Land mit mehr als 1,4 Milliarden Einwohner:innen und einer über 4000-jährigen Geschichte, dessen beobachtender filmischer Ansatz mit seinem vermeintlich neutralen Blick die Position der Filmemacherin verdeckt.

Nur selten wird diese Position sichtbar, nämlich immer dann, wenn mit dem gleichen exotisierenden Blick zurückgeschaut wird: Gegen Ende ist der Film in der High Class angekommen. Es geht um europäische Tischmanieren und die französische Haute Cuisine. Wassergläser in China seien oft zylindrisch, sagt ein Teilnehmer der Runde, während Gläser in Europa sich nach oben öffneten. Das habe den Grund, das Europäer:innen oft große Nasen hätten, die bei der Verwendung von zylindrischen Gläsern im Weg seien. Mehr solcher Momente, und der Film hätte richtig gut sein können.

Denn es gibt durchaus Episoden, dank derer sich der Film lohnt. Beispielsweise der Besuch einer Sexpuppenfabrik – Werkstatt wäre wohl der passendere Begriff, denn der Zusammenbau von Sexpuppen ist handwerkliche Arbeit. Männer dehnen ihr Eisenskelett und sehen dabei aus wie Physiotherapeuten, Frauen malen den fertigen Puppen Augenbrauen und Brustwarzen nach Fotos von Pornostars aufs nackte Silikon. Die Akribie ihrer Arbeit und die Gewissenhaftigkeit, mit der sie sie ausführen, sind faszinierend. Handwerk an einem Ort, an dem es nicht zu vermuten gewesen wäre.

Vielleicht hätte man den ursprünglichen Plan beibehalten sollen, eine Serie von Kurzfilmen aus dem Material zu machen, was stärker die Verkürzung und Unvollständigkeit des Bildes betont hätte, das sich hier über die „Arbeit in China“ zusammensetzt. So aber bleibt das ungute Gefühl, der Film trage am ehesten zu einem noch besseren Missverständnis Chinas bei.

Michel Nölle