Liest man den Untertitel „Eine marxistische Vampirkomödie“ von Julian Radlmaiers „Blutsauger“, so schießen einem schlagartig allerlei Bilder durch den Kopf. Dracula, wie er im Cape und mit noch immer blutverschmierten Lefzen auf einer Chaiselongue „Das Kapital“ liest. Oder Edward aus „Twilight“ mit Hammer und Sichel-Aufdruck auf dem Designer-T-Shirt. Doch Radlmaier, der bereits mit seinem vorherigen Film „Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“ Aufsehen erregte und sich am Versuch einer antikapitalistischen Komödie abarbeitete, schlägt einen ganz anderen Weg ein.

Eine Gruppe Arbeiter sitzt am Ostseestrand und liest gemeinsam „Das Kapital“. Ein einsamer Mann im Anzug starrt hinaus auf die Wellen. Während auf der Leinwand noch die Jahreszahl 1928 verblasst, gleitet ein Windsurfer mit neongelbem Segel elegant über die rauen Weiten der Nordsee… Schon mit seiner ersten Szene macht „Blutsauger“ klar, dass es hier viel gibt, was nicht so ganz ernst genommen wird: nicht die Epoche, in welcher der Film angeblich spielt, nicht die Figuren, die durch ihn wandeln wie blutleere Hüllen, wirklich gar nichts, außer der Marx‘schen Metapher von Kapitalisten als Vampiren. Die wird echt ernst genommen – bis aufs Blut.

Worum es geht: Der Schauspieler Ljowuschka, der Russland verlassen musste, findet sich in einem deutschen Ostseebad wieder. Dort trifft er auf die Fabrikbesitzerin Octavia, die ihn wie eine exotische Rarität behandelt und auf ihr Anwesen holt. Ljowuschka will eigentlich nach Hollywood, weshalb Octavia sich bereit erklärt, mit ihm zusammen einen Film über Vampire zu drehen. Dass sie selbst – und ihre Klassengenossen mit ihr – auch in Wirklichkeit Blutsaugerin ist, scheint sie kaum zu stören (die Zuschauenden dafür aber umso mehr). Während die Radikalisierung der hobbymarxistischen Arbeiter sowie die Vampirattacken an Intensität zunehmen, bahnt sich Schlimmes an.

Auf dem Papier klingt Radlmaiers Idee geradezu genial. Dumm nur, dass sie auf der Leinwand rapide an Charme verliert. Die Filmwelt erscheint größenwahnsinnig überdimensioniert und Geschichte und Charaktere sind zu klein, um sie zu füllen. Was zurück bleibt, wirkt freudlos, farblos, als hätte Radlmaier eine Idee gehabt und doch nicht gewusst, wie er diese nun umsetzen soll. Eine Art lethargischer Lustlosigkeit scheint über allem zu liegen, die der Film partout nicht abschütteln kann.

Dabei gibt es durchaus schöne Ideen und Bilder: ein blutroter Fallschirm, der urplötzlich in die grüne Idylle der Hecken driftet, oder ein Suizid via Fliegenpilz. Der Film im Film erinnert an Klassiker des Vampirgenres wie „Nosferatu“ oder „Tanz der Vampire“ und bringt zumindest einen Hauch der Komik, nach der man sich so sehnt. Doch diese Momente sind zu vereinzelt, um dem an Anämie leidenden Rest des Films Leben einzuhauchen.

Die beste Passage des Films ist das zweite der insgesamt drei Kapitel, in die er unterteilt ist. Getragen von Alex Herbst als Octavias „Assistent“ (das Wort Diener verabscheut sie, obwohl es absolut zutreffend ist), erreicht der Film hier einen Reiz, der ihm ansonsten leider fehlt. Herbst schafft es, die Tölpelhaftigkeit Jakobs auf eine souverän herzliche Art zu transportieren. Sein plötzlicher Tod durch den oben erwähnten Fliegenpilz-Suizid ist früh, schade, und offenbart bedauerlicherweise auch noch, dass der Assistent allein etwas vermittelte, das allen anderen Charakteren fehlt. Nach seinem Abgang fühlt sich die Welt noch weiter, der Film noch leerer an.

Ohnehin ist die Länge ein Problem. Man wünscht sich, Radlmaiers Orientierung an Karl Marx‘ kommunistischem Manifest wäre noch etwas tiefschürfender gewesen und hätte sich auch an dessen Kürze ein Vorbild genommen. Seine zweistündige Laufzeit verdient der Film sich nicht und wirkt stattdessen aufgebläht mit Plattitüden und salonphilosophischen Plappereien.

Das Ende erscheint dann nach all den Verwirrungen, die keineswegs eine klare politische Linie des Filmemachers haben erkennen lassen, auf seltsame Weise moralisierend. Das fühlt sich wegen der fehlenden Geradlinigkeit des Vorangegangen fehl am Platz an. Als Jakob – der skurrilerweise zu diesem Zweck als Geist wiederauferstanden ist – einen pro-kommunistischen Appell an Ljowuschka richtet, klingt das dann leider auch nicht weniger leer als das Großgrundbesitzer-Geschwätz von Octavia.

Mit dem Script für „Blutsauger“ gewann Julian Radlmaier 2019 den Deutschen Filmpreis für das beste unverfilmte Drehbuch. Mit seiner Adaption des Stoffes beweist er nun leider, dass er es wohl besser beim literarischen Versuch belassen hätte.

Fiona Caesar