„Wintermärchen“ ist ein Film der polarisiert. Und das ist durchaus gewollt, schließlich setzte sich Regisseur Jan Bonny das Ziel, seine Zuschauer zu einer Haltung gegenüber all dem, was da gezeigt wird, zu zwingen. Fraglich bleibt jedoch, welche Komponente der vom Film angeregte Diskurs behandelt – die künstlerische, also die des Filmes als Kunstwerk, oder die politische.

Zwar handelt „Wintermärchen“ nicht direkt von den drei NSU-Terroristen um Beate Zschäpe, und ist somit keine Abbildung oder Aufarbeitung des tatsächlich Geschehenen, dennoch zieht der Film mit seinen rechtsextremen und tief gestörten Hauptfiguren Becky, Tommy und Maik deutliche Parallelen. Diese sind gefangen in einer Vorhöllen-artigen Existenz, erschaffen und geprägt durch menschliche wie psychische Abgründe, Verrohung und Gewalt. Einen Ausweg in die Bekanntheit suchen sie mit ihren Morden, die jedesmal gleichzeitig so nüchtern und intensiv präsentiert werden, dass man als Zuschauer irgendwann am liebsten nicht mehr hinschauen möchte.

Die Morde stellen zwar die Gewaltspitzen des Films dar, intensiv, intim und brutal ist aber auch alles andere. Über zwei Stunden hinweg wird  immer wieder in ausladenden, fast unerträglich langen Szenen gesoffen, gevögelt, geschrien und geschlagen. Es fühlt sich an, als dauerte der Film Ewigkeiten. Ob das nun schlecht oder aber ein gelungener Kunstgriff ist, um das Publikum den banalen und monotonen Alltag der drei Hauptfiguren auch auf einer Metaebene spüren zu lassen, muss jeder für sich entscheiden.

Uneinig war dabei auch das Publikum des 12. Lichter Filmfests in Frankfurt. Beim an den Film anschließenden Gespräch mit Regisseur Jan Bonny musste sich dieser einiges an Kritik anhören. Eine Dame sah im Film „zu viel Porno, zu wenig Politik“, ein Herr sagte, dass man diese Geschichte „auch in 45 Minuten hätte erzählen können.“ Mit der Kritik kommt Bonny klar. Er erklärt ausführlich Beweg- und Hintergründe zu „Wintermärchen“. So sei der starke Fokus auf die Beziehung der Figuren etwa dadurch entstanden, dass man bei einem solch komplexen Thema einen erzählerischen Zugang zur Geschichte bräuchte, und dieser als Beziehungsdrama eben gut funktioniert.

Tatsächlich spielt das Politische in „Wintermärchen“ nur eine untergeordnete Rolle. Wieso die Figuren rechtsradikal sind, welches Netzwerk hinter ihnen steht, Geschehnisse nach Ende der Handlung – alles Fragen, die unbeantwortet bleiben. So eröffnet Bonny zwar einen großen Diskussionsspielraum, positioniert seinen Film dabei bezüglich möglicher Interpretationen dann aber doch zu deutlich als Beziehungsdrama. Dies wird, trotz klarem politischen Bezug des Songs, spätestens dann deutlich, wenn zu den Credits „Schrei nach Liebe“ von den Ärzten läuft.

In seiner Inszenierung hingegen ist der Film stringent. Die Kamera ist immer unangenehm nah am Geschehen, das Gezeigte wird immer nüchtern präsentiert. Musik gibt es keine, das Geschrei wäre dafür sowieso zu laut. Vorwerfen kann man auch den Schauspielern von Becky, Tommy und Maik nichts. Sie gehen in ihren Rollen voll auf und liefern eine authentische Darstellung ihrer psychologisch immer kaputten, im Machtverhältnis untereinander aber sich wandelnden Figuren.

In all seiner Radikalität entzieht sich „Wintermärchen“ herkömmlichen Maßstäben für Kritik. Festhalten lässt sich allerdings, dass Bonny hier ein Stück intensives deutsches Kino vorgelegt hat, dessen künstlerischer Wert unweigerlich an der eigenen Subjektivität festzumachen, nicht aber von der Hand zu weisen ist.