Ein Strand in der Abendsonne. Eine Gruppe von Männern grillt eigens gefangene Fische auf einer Feuerstelle. Jemand scherzt: „Das Feuer ist heiß genug, um ein Kamel zu kochen“. Zu den gegrillten Fischen werden weitere Beilagen in Form eines Büffets gereicht. Die Männer stimmen ein Lied an. Ein zweckentfremdeter Ölkanister dient einem von ihnen als Cajón, die anderen klatschen im Rhythmus in die Hände. Gelächter und strahlende Gesichter, pure Harmonie: Szenen aus dem Gaza-Streifen.

So ganz wollen die Bilder, die mir Philip Gnadt (Regie) und Mickey Yamine (Co-Regie) in ihrer Dokumentation GAZA SURF CLUB (2016) präsentieren, nicht in meine medial geprägte Vorstellung einer von Krieg und Isolation erschütterten Krisenregion passen. Die Eröffnungsszene hatte meine Erwartungen an den Film noch bestätigt. Hohe Wellen brechen vor der Küste von Gaza, vermischen sich auf der Tonspur mit Aufnahmen internationaler Kriegsberichterstattung, dazu spielt dramatische Musik. Anschließende Bilder einer völlig zerstörten Infrastruktur komplettieren eine äußerst rhetorische Frage, die sich zu diesem Zeitpunkt wohl ein Großteil des Publikums stellen wird: Wer würde hier leben wollen?

Inmitten dieser Elendsszenerie platziert sich die Kamera im Innern eines Kleinbusses, mit dem eine Gruppe junger Männer durch die zerstörten Straßen ihrer Heimatstadt fährt. Das riesige, knallgelbe Surfbrett wirkt durch die Vielzahl an positiven Assoziationen wie ein Fremdkörper: Wasserspaß im Kriegsgebiet? Surfen im Meer der Hoffnungslosigkeit und Bombenangriffe? Am Strand von Gaza treffen Ibrahim und seine Freunde mit Gleichgesinnten zusammen, kurz darauf stürzen sie sich mit ihren Surfbrettern in die tosenden Wellen. Die Kamera filmt die Wellenreiter bei ihren akrobatischen Kunststücken. Zeitlupen und die verspielte arabische Musikuntermalung verleihen den Wasserszenen eine große Anmut. Der Normalitätscharakter dieser Situation taucht die trostlosen Bilder der in Trümmern liegenden Region für den weiteren Verlauf des Films in ein gänzlich anderes Licht.

Ibrahim hegt große Pläne: Um den Surfsport in Gaza zu verbreiten und seine Bedingungen zu verbessern, plant er den Bau einer Surfhütte, sowie die Gründung des titelgebenden Gaza Surf Club, um einen Treffpunkt für junge Menschen in Gaza zu schaffen. Durch ein geplantes Praktikum auf Hawaii will er zudem die Herstellung und Reparatur von Surfbrettern erlernen. In einem derart isolierten Krisengebiet gilt es bei diesem Vorhaben jedoch einige Hürden zu überwinden. Der Erhalt eines Visums ist keine Selbstverständlichkeit, Ibrahims Antrag wurde bereits wiederholt abgelehnt. Es besteht ein Einfuhrverbot von Surfbrettern in den Gaza-Streifen und auch die Beschaffung von Baumaterialien zur eigenhändigen Herstellung gestaltet sich als schwierig, da die erforderlichen Materialien nicht im Gaza-Streifen erhältlich sind.

Für manche sind die Hindernisse nicht ausschließlich politischer Natur. Der 15-jährigen Sabah ist es untersagt, in der Öffentlichkeit schwimmen zu gehen. Die Freiheit, im Wasser für einen Moment dem tristen Alltagsleben in Gaza zu entrinnen, bleibt den Männern vorbehalten. Umso einprägsamer gestaltet sich eine Szene gegen Ende des Films: Sabah fährt mit ihrem Vater in einem kleinen Motorboot raus aufs Meer, wo sie ihr Kopftuch auszieht und im Schwimmanzug ins Wasser springt, um zu surfen. Die Kamera fängt das pure Glück der jungen Frau in Zeitlupensequenzen ein.

In einer späteren Montage aus Surfern bei der Ausübung ihres Sports auf Hawaii und in Gaza rückt die geographische Lage mehr und mehr in den Hintergrund. Auf den Surfbrettern im Wasser stehen keine Christen, Muslime, Amerikaner oder Palästinenser: Sie sind Surfer, geeint durch die Liebe zum Sport, in einem Meer, das weder Glaube noch Hautfarbe kennt.

Regisseur Philip Gnadt gelingt es mit GAZA SURF CLUB einen völlig neuen, zutiefst menschlichen Blick auf eine medial verbrauchte Krisenregion zu werfen und gleichzeitig eine erbauliche Botschaft zu transportieren: Aus Trümmern erwachsen Träume, aus Träumen erfolgen Taten. Hoffnung findet immer einen Nährboden.

von Timo Cromm

GAZA SURF CLUB läuft in der neuen Reihe Zukunft Deutscher Film beim
10. LICHTER Filmfest Frankfurt International
am Freitag, den 31.03.2017 um 20:00Uhr im Mal Seh’n Kino, Frankfurt

GAZA SURF CLUB läuft am Donnerstag, den 30.03.2017 bundesweit in 12 Kinos in 10 deutschen Städten an.
Weitere Infos und den Trailer zum Film finden Sie: Hier.