Shahid, zu Deutsch Märtyrer, ist für die in Deutschland lebende Iranerin Narges Shahid Kalhor mehr als nur ihr Name. Vielmehr ist es für sie ein Teil ihrer Vergangenheit. Seit Langem schon ist dieser Teil ihres Lebens „tot“, jedoch ist sie durch ihren Namen immer noch daran gebunden. Aus diesem Grund möchte sie ihn endlich entfernen lassen.
Die Vermischung von Narges‘ Gegenwart und Vergangenheit zeigt sich in vielerlei Formen: rückwärtslaufende Uhren und Fußgänger, die metaphorisch für den Weg in die Vergangenheit gesehen werden können. Dazu vor allem ihr Großvater, der sie im Alltag wortwörtlich verfolgt und von ihrem Vorhaben abbringen will. Mit den Mitteln eines reflexiven Kinos erzählt die Regisseurin Narges Kalhor unter anderem einen Teil der iranischen Geschichte, aber auch von politischen und gesellschaftlichen Missständen – sowohl im Iran als auch in Deutschland, und von bürokratischen Hürden, welche ihre Namensänderung erschweren. Aber vor allem spiegelt sie so ihr eigenes Leben wider, welches als Inspiration dieses Films dient.
Immer wieder thematisiert sie den Blick durch die Kamera. Das häufig unruhige Bild verstärkt den chaotischen Charakter des Films, der weiter durch verschiedene filmische Stilmittel wie Zeitlupe und -raffer zusätzlich gesteigert wird.
Die Filmmusik schließt an die iranische Kultur an, sie lässt das Publikum in Narges‘ Vergangenheit eintauchen und mehr über die Gefühlswelt der Hauptdarstellerin erfahren. Die Regisseurin singt auch, das wirkt häufig wie eine Art Trauergesang, der zeigt, wie belastend die Situation für sie ist. Zusätzlich schafft die Musik einen starken Kontrast zu den monotonen Dialogen im Film und bietet dadurch ausreichend Abwechslung. Neben der Musik nimmt auch der Tanz ein wichtige Rolle im Film ein und repräsentiert, wie die Musik, die iranische Kultur. Jedoch dient dieser nicht wie die Musik als Ausdruck von Gefühlen, sondern wird meines Erachtens ins Lächerliche gezogen und fungiert vielmehr als humoristisches Stilmittel.
Ironie und Ernsthaftigkeit gehen ineinander über. Aussagen wie „What the Fuck. Die Revolution auf meinen Brüsten“, die sie äußert, als Aufnahmen der iranischen Revolution auf ihr weißes Kleid projiziert werden, brachten mich zwar zum Schmunzeln, jedoch konnte ich nicht vollständig den Ernst des geschichtlichen Ereignisses vergessen. Umso humorvoller ist der paradoxe Psychologe, der ein Gutachten für Narges erstellt. Er scheint selbst unter psychischen Erkrankungen zu leiden, hat ein sehr unsicheres Auftreten und fällt schnell Urteile über die mentale Verfassung der Patientin. Damit wirkt er sowohl absurd als auch scherzhaft.
Bei mir hat „Shahid“ nicht wirklich verschiedene Emotionen hervorgerufen. Wie bereits erwähnt, wird durch Narges‘ Gesang zwar auf ihre Gefühlswelt eingegangen, und es war somit möglich, mehr über ihre Emotionen zu erfahren. Trotzdem war ich kaum von den Ereignissen berührt. Das liegt womöglich an der für mich fehlenden Identifikationsmöglichkeit mit der Hauptfigur. Zuschauer:innen, die sich mehr in Narges widerspiegeln können, nehmen womöglich die Gefühlswelt ganz anders wahr. Doch wäre es hier nicht von Bedeutung gewesen, eine weitreichendere Identifikationsmöglichkeit zu bieten, um mehr Menschen zu erreichen und somit eine aufklärende Wirkung über gesellschaftliche Missstände zu erzeugen, die noch nicht jede:r wahrgenommen hat?
Der Film zeigt ein politisches Drama, welches das Leben der Emigrantin Narges und die Loslösung ihrer Vergangenheit auf eine abstrakte und kreative Art darstellt. Zwar werden hier bei den Zuschauer:innen keine großen Emotionen erzeugt und auch der komödiantische Effekt wurde meines Erachtens häufig verfehlt, trotzdem wurde durch verschiedene Stilmittel die Handlung interessant und spannend präsentiert. Insbesondere die Filmmusik verleiht dem Film eine besondere Wirkung und zeigt einen Einblick in die Vergangenheit Narges sowie in die iranische Kultur.