Ryusuke Hamaguchi dreht am Glücksrad und lässt Männer, aber vor allem Frauen in seinem Film Wheel of Fortune and Fantasy herausfinden, was es bedeutet, zu lieben, loszulassen und allein zu sein. Die sanfte und neugierige Klaviermelodie aus Schumanns Kinderszenen eröffnet den Drei-Akter und verleiht ihm die ruhige und bedachte Grundstimmung, die ihn ausmacht. Die Frau ist Trägerin der einzelnen Episoden und Handelnde in ihrem eigenen Leben, das, so stellt sich die Frage, entweder vom Zufall oder vom Schicksal bestimmt wird. Die Entstehung einer verzwickten Dreiecksbeziehung stellt eine Freundschaft zweier Frauen auf die Probe. Aus dem Plan einer Frau, ihren Professor zu erpressen, entsteht eine intime und erotische Anspannung, die sogar ohne Augenkontakt funktioniert und unerwartete Wendungen nimmt. Und zu guter Letzt sorgt ein Missverständnis für die Begegnung zweier Frauen, die etwas Bestimmtes in ihren Leben verloren haben, aber stattdessen zueinander finden.

Im Dialog offenbaren die Gesprächspartner*innen ihre inneren Gefühlswelten und überraschen mit einer Ehrlichkeit, welche die Natürlichkeit des Dialogs untermalt. Die alltäglichen Situationen, in welche die dramatischen Wendungen eingebettet werden, und das minimalistische und authentische Schauspiel lassen den/die Zuschauer*in nicht nur beim Geschehen mitfühlen, sondern auch daran teilhaben. Die ruhigen, aber abwechslungsreichen Kameraeinstellungen und die Hintergrundgeräusche geben dem/der Zuschauer*in das Gefühl, als säße man mit den Protagonist*innen gemeinsam im Taxi, stünde mit ihnen im Büro vor einer offenen Tür oder säße mit ihnen auf einem Sofa bei Tee und Rote-Bohnen-Gelee.

Das Bild ist aufgeräumt, stimmig, wenn auch an manchen Stellen etwas fragwürdig unscharf und flach. Vielleicht möchte der Film mit diesem Mittel das Fantastische zum Ausdruck bringen: die Unschärfe des Traumes kontrastiert den scharfen Dialog der Realität. Vielleicht ist das aber auch nur meine gutgemeinte Interpretation einer technischen Insuffizienz. Vermeintliche Tabu-Themen wie Homosexualität und mentale Gesundheit werden thematisiert, jedoch nur am Rande gestreift, genau wie über Liebe und Erotik gesprochen wird, sie selbst im Film jedoch so gut wie gar nicht vorkommen. Der Film schafft es somit, Raum für Interpretation zu lassen, auch wenn die Aufklärung einer Episode gutgetan hätte.

In Wheel of Fortune and Fantasy geht es um Frauen, die Angst haben, etwas zu verpassen oder etwas verpasst zu haben, sich fragen, was gewesen wäre, wenn, und, angespornt davon, handeln. Das jeweilige Ende bleibt jedoch offen: Das Glücksrad dreht sich weiter. Auf der einen Seite sind die offenen Enden der einzelnen Geschichten eine großartige Methode, um die eigene Fantasie anzuregen, und sie entsprechen auch dem Thema des Films: Nicht zu wissen, was das Schicksal oder der Zufall für einen bereit halten. Auf der anderen Seite erschwert es das offene Ende der ersten Episode, mit demselben Interesse an der Handlung in die zweite Episode einzusteigen, da man als Zuschauer*in immer noch still fantasiert, was Schicksal oder Zufall für die Protagonist*innen der ersten Episode bereithalten.

Die Gewissheit über den Verlauf unseres Lebens ist uns allen vorenthalten. Wir sind darin begrenzt, zu wissen, was passiert, jedoch nicht darin begrenzt, uns vorzustellen, was passieren könnte. (…denn im Nachhinein ist man immer schlauer…)