Joachim Triers neuester Film The Worst Person in the World (orig.: Verdens verste menneske) zeigt in vierzehn individuell narrativen Kapiteln einen Lebensabschnitt einer Frau mit all dessen Emotionen. Euphorisch und frei, planlos und spontan, enttäuscht und ausgebrannt, angsterfüllt und gelähmt.

Die auf die dreißig zugehende Julie ist ein Freigeist und noch nicht standhaft im Leben angekommen. Alles, was sie anfängt und wodurch sie im Leben gefestigt werden könnte, beendet sie nach kurzer Zeit wieder. Nach vielen Berufs- und Partnerwechseln geht sie eine Beziehung mit Aksel, einem älteren, etablierten Comic-Zeichner, ein. Geprägt von der Angst, gesellschaftliche und familiäre Erwartungen wie das Mutterwerden nicht erfüllen zu können, begibt sie sich auf die Suche nach etwas, was sich ungezwungen anfühlt und findet es in Form von Eivind, einem vergebenen Mann. Die Funken sprühen und die Zuschauenden spüren hier ein realistisches Bild von einer, vorerst nicht sexuellen, echten zwischenmenschlichen Verbindung. Mithilfe fesselnder Kameraaufnahmen und einer modernen Cinderella-Analogie wird hier das Gefühl von ‚ich und du, allein auf der Welt, allein gegen die Welt‘ vermittelt. Der Film, der die Form einer romantischen Komödie hat, legt nun Stück für Stück ein komplexes Gewebe aus doppelbödigen Gefühlen und Erfahrungen dar und zeigt, was die Hingabe zu einer Person für Unsicherheiten mit sich bringt. Renate Reinsve legt als Julie eine Wahnsinnsperformance hin und hat zurecht die Auszeichnung „Beste Schauspielerin“ auf dem Cannes Film Festival 2021 erhalten. Ihre differenzierte Art und Weise, Schönheit darzustellen, ist absolut bereichernd.

Julie ist eine Verkörperung der Millenial-Generation, geprägt von existentiellen Ängsten und dem unstillbaren Bedürfnis, den eigenen Platz in der Welt zu finden; mal mithilfe eines ausgefeilten Plans, mal mithilfe eines spontanen Drogen-Trips. Trotz augenscheinlich zufriedenem Leben verspürt die Protagonistin Sehnsucht, und die Zuschauer*innen bekommen stetig das Gefühl vermittelt, dass etwas Unbekanntes, nicht Greifbares fehlt, um vollends glücklich zu sein. Dabei verliert der Film niemals den Bezug zu den ambivalenten und komplexen Denkweisen des menschlichen Wesens. Zentrale Fragen wie „Auf was kann ich stolz sein?“, „Was hinterlasse ich, wenn ich sterbe?“, „Was will ich und wer bin ich?“ werden im Film tiefgehend und mit viel Witz ausführlich durch die nuancierten Charaktere thematisiert. Konfrontationen mit Vergänglichkeit, verschiedenen Formen und Ausdrücken von Liebe, dem Sinn des Lebens und Zeitlosigkeit werden geschickt mithilfe von Symbolen, Metaphern und einfühlender Musik in den Film eingebettet. Der Schauplatz Olso spielt eine wichtige Nebenrolle, da das Set-Design und die Drehorte den Film komplimentieren und die westlichen Weltvorstellungen mit skandinavischem Charme unterstützen.

Der Film fühlt sich an, als würde man auf die beste Art und Weise von einem Güterzug überrollt werden. Joachim Trier und Eskil Vogt zeigen unverblümt und roh, wie schmerzhaft irritierend und wunderschön das Leben spielt. Obwohl der Film nur einen Lebensabschnitt zeigt, schafft er es, eine große Bandbreite an Emotionen und Situationen zu zeigen, sodass es den Zuschauer*innen leicht fällt, sich in die Geschichte hineinzudenken und zu identifizieren.

Katharina Seidel