Mit der Drohne fahren wir über die Überbleibsel einer Landschaft, die einst der Dannröder Wald war – unser Blick, wie ein Finger über eine klaffende Wunde. So groß auch der Schmerz, diese Risse zu sehen, kommt man nicht umhin, zu bemerken, wie grotesk schön eben diese Bilder im verträumten Licht inszeniert sind. Die Anmut der Natur als zusätzlicher Protagonist neben vielen wird über den Film hinweg stets liebevoll in die Erzählung eingeflochten. Fast als wolle Regisseur Maxi Buck immer wieder daran erinnern, worum es eigentlich geht – was auf dem Spiel steht. Die Striemen, die sich kerzengrade durch die Bilder ziehen, zeigen auch ohne viel Kontext mit aller Klarheit, dass der Mensch hier gewütet hat. Die Menschen, von Natur aus hungrig nach Mehr und dabei nicht zu sättigen, hat es in diesem Fall nach breiteren Straßen für schnellere Auto gelüstet – der Danni, wie er liebevoll von Protagonisten genannt wird, bezahlte dafür den Preis.
Der Film »49 Problems (And My Future Is One)« behandelt die Geschehnisse rund um die Besetzung des Dannenröder Forsts in Hessen zum Schutz vor Rodung im Zuge des Baus der A49, welcher 2019 startete und noch nicht abgeschlossen ist. Über den Verlauf eines Jahres begleitete der Regisseur Maxi Buck die Proteste vor Ort und schafft so intime Einblicke in die Arbeit der Aktivisten, die Aufeinandertreffen mit der Polizei, ebenso wie die Gerichtsprozesse der Klimaaktvisitin »Ella«.
Auf schonungslose Art zeigt der Film, was während der Proteste passierte. Vielleicht an mancher Stelle zu schonungslos; die eigene Inszenierung gerät in Vergessenheit. Dieser Umstand zeigt sich schon zu Beginn des Films: Wir sehen kurze Ausschnitte eines Gerichtsprozesses, eingespielt werden dazu kommentierende Worte, welche sowohl von der Umarmung von Freunden sprechen, aber auch von dem Wunsch, die Anklage möge „in Flammen aufgehen“. Immer wieder finden sich innerhalb des Films Formulierungen, die auf beiden Enden des wertenden Spektrums wandern und etwas Abschließendes haben. Danach ein Schnitt zu lachenden Aktivistinnen, welche auf eine stumme Frage der Kamera antworten – eine Frage, die, wie es scheint, Anarchie zum Gegenstand hat. Diese ersten Eindrücke des Aktivismus im Dannenröder Wald sind für den unbedarften Betrachter ein nicht ganz leichtes Entreé. Was mich zum ersten Mal zu der noch oft gestellten Frage führt: An wen richtet sich der Film?
An alle – könnte man meinen – immerhin ist das Thema der Klimawandel und der verantwortungslose Umgang mit Ressourcen; also eines, was uns alle betrifft. Zielgruppe „Alle“ deckt sich auch mit der Aussage des Regisseurs, welcher im Anschluss an die Filmvorführung berichtet, dass er auf Unauffälligkeit der Kamera gezielt habe. Die sprichwörtliche »Fly on the wall« – stiller Beobachter. Wie dazu die eingespielten Interviews der Aktivisten passen, wird nicht erklärt – ebenso wenig wie erörtert wird, ob ein unbeteiligter Begleiter nicht um eine Art Objektivität bemüht sein sollte. Zu der geäußerten Intention passend erscheint, dass die Bilder oft richtungslos eingesetzt werden und so eine teils dringend benötigte Führung des Betrachters entgleitet. Präsentiert werden Fragmente, welche wohl ein gesamtheitliches Bild von allen Beteiligten zeichnen sollen, aber dadurch leider nicht nur inhaltliche Lücken lässt, sondern auch immer wieder ein klares Narrativ befüttert. Ein stetiger Fingerzeig ist das Ergebnis – zu Recht oder zu Unrecht sei dahingestellt – und so scheint es doch, dass die Fliege mit einer ziemlich klaren Stimme spricht, was mich erneut fragen lässt: Für wen ist dieser Film?
Im Licht der Annahme, dass «49 Problems (And My Future Is One)» ein Film von Aktivisten für Aktivisten ist, ist der Film sehr gelungen: mitreißend und bewegend. Ein aufwühlendes Portrait, welches zurecht die Frage nach Recht und Gerechtigkeit in den Fokus rückt und fragt, ob der Staat, basierend auf einem profitbasierten Grundgerüst, absichtlich seiner Fürsorgepflicht nicht oder zumindest nicht zur Genüge nachkommt. Leider ist dieses Werk aber auch eine verpasste Chance, Menschen außerhalb des inneren Kreises abzuholen, und für eine Sache zu gewinnen, die es wert ist, dafür gewonnen zu werden.