Der Film „Shahid“ von der Regisseurin Narges Shahid Kalhor setzt sich mit ihrem Nachnamen auseinander. Das persische Wort „Shahid“ bedeutet übersetzt Märtyrer und verfolgt Narges in ihrem täglichen Leben. Ihr Ziel ist eine Namensänderung, um sich von dieser Last der Bedeutung befreien zu können. Dabei trifft sie unter anderem auf undurchschaubare deutsche Bürokratie, die Geister ihrer Vorfahren und einen nervösen Psychologen.
Der Film lässt in den ersten Minuten vermuten, dass es vor allem um diese Namensänderung gehen soll. Jedoch bricht Narges Kalhor diesen Schein direkt zu Beginn, als sich die Protagonistin (Baharak Abdolifard) mit der Regisseurin im Off unterhält und die noch filmende Kamera auf den Boden gestellt wird. Die Geschichte bekommt mehrere Ebenen, auch Outtakes werden gezeigt. Der Urgroßvater, der „Märtyrer“, tritt als Geist auf. Die Regisseurin wird in dem Gespräch als sogenanntes „rich kid“ bezeichnet, das innerhalb der eigenen Freundesgruppe Preise verleiht. Es stellt sich ständig die Frage: Wieso wurde diese Aufnahme nicht rausgeschnitten, und was ist davon bewusst inszeniert? Der Aspekt der Verwirrung zieht sich kontinuierlich durch den Film. Gewollt oder ungewollt?
Durch die Unterbrechung von Aufnahmen, wenn die Protagonistin zu den Personen hinter der Kamera spricht, werden die Zuschauenden aus dem Geschehen gerissen. Was ist geplant? Was geschieht zufällig? Der Film hat keine vorhersehbare Struktur. Mal ist man bei einem kaputten Fahrradreifen und dann schon wieder bei Komplikationen bei der geplanten Namensänderung von Narges Shahid Kalhor zu Narges Kalhor. Als Narges am Amt alle benötigten Unterlagen vorlegt, wird die Kleinlichkeit deutscher Bürokratie vorgeführt, die bei der Meldebescheinigung mit dem Vermerk der Staatsangehörigkeit beginnt und bei dem fehlenden Dokument des psychologischen Gutachtens der seelischen Belastung endet. Die Trennung von dem Nachnamen Shahid und der damit verbunden Vergangenheit stellt sich als umständlicher heraus, als erwartet.
Narges wird während des Films von ihren Geistern vor mögliche Gewissenskonflikte einer immigrierten Person in Deutschland gestellt. Die starken Sprünge in der Erzählung führen zu einer kontinuierlichen Neuorientierung im Geschehen, die mit den Erlebnissen der Regisseurin verbunden werden können. Der Aspekt der Verwirrung steht dabei stets im Vordergrund. Ständig wird der Übergang zwischen der filmischen Realität und der Produktion überschritten, und neue Probleme erscheinen.
Die Erzählung nimmt erneut eine Wendung, als „Shahid“ Aufnahmen eines Films von Narges Shahid Kalhor aus dem Jahr 2009 einschiebt. Der autobiographische Einblick vermittelt die Geschichte ihrer Immigration in Deutschland und zeigt Einblicke in das Leben von Asylsuchenden.
„Shahid“ schließt mit einer emotionalen Szene: Narges richtet scheinbar eine Pistole auf den Geist ihres Urgroßvaters und will diesen erschießen. Dabei löst sich ihre Umgebung wolkenartig in einen grünen Hintergrund auf. Übrig bleibt Narges vor einem Green Screen. Allein. Ihre Pistole zeigt in die Leere. Ob sich Narges auch nach der Namensänderung von der Last ihrer Vorfahren lösen kann oder ob doch ein Gefühl der Schuld zurückbleibt, ist unklar.
Narges Kalhor hinterlässt das Publikum mit vielen Fragen. Was genau hatte die Regisseurin vor? Sie mischt Szenen, in denen man schmunzeln muss, mit anderen, die wiederum zum Nachdenken anregen. „Shahid“ bewegt sich von einem Dokumentarfilm zu einem politischen Drama. Es wird nicht festgelegt, welches das Hauptthema sein soll, und wie dieses am besten vermittelt werden kann. Unklare Strukturen führen zu einer Vielzahl von Interpretationen. Nichts ist eindeutig.