Gleich zu Beginn konstatiert Black China einen Hegemoniewechsel, den „der Westen“ erst vor einigen Jahren wirklich zu realisieren begann: „China rules the world at the moment“. Nach verschiedenen Reformen wuchs Chinas Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten um ein Vielfaches, das Land unter Partei- und Staatschef Xi Jinping ist nach den USA die Volkswirtschaft mit dem zweitgrößten BIP der Welt. Ob ein Ende dieses Wachstums in Sicht ist, oder ob als Folge der Covid19-Pandemie eine Deglobalisierung stattfinden wird, ist gar nicht die Frage. Chinas Stellung in der Welt wird erst einmal kaum einfach wieder verschwinden. Der Einfluss ist längst nicht nur national. Prominentestes Beispiel ist die sogenannte „Belt and Road Initiative“, die seit mehreren Jahren viele Länder des fernen und nahen Ostens, Afrikas und Europas wirtschaftlich und logistisch an China anschließen soll und diese Länder dabei im Sinne Chinas auf- und umbaut. In einer globalisierten Welt gibt es keine Unabhängigkeit von solchen Entwicklungen, multinationale Konzerne setzen längst auf den chinesischen Markt. Das Bild vom bösen China, das dem liberalen Westen die Weltherrschaft entreißt, ist natürlich völlig unzureichend, um diese Entwicklungen zu verstehen.

Black China von Inigo Westmeier, der 2012 bereits in China die Dokumentation Drachenmädchen drehte, zeigt nun dokumentarisch einige Menschen, die aus afrikanischen Ländern nach China emigriert sind, um an dessen Boom teilzuhaben. In ihren Herkunftsländern sind sie mit Armut, Perspektivlosigkeit, korrupten Eliten und fehlender Infrastruktur konfrontiert. Sie sind ausgebildet, haben Kontakte aufgebaut und verfügen über ein koloniales Bewusstsein. Vor allem sind sie eines: entschlossen, erfolgreich zu sein. Und für Erfolg gibt es nur eine Adresse: China. Die USA und Europa haben schlicht nichts mehr zu bieten.

Die Schnitte sind schnell, fast hektisch. Wir bewegen uns in Sekundenschnelle zwischen zwei Kontinenten, machen flüchtige Bekanntschaften und Geschäfte, ständig auf Achse und am Arbeiten. Das ist also gemeint, wenn von Kosmopolitismus die Rede ist. Es scheint oft eine große Anonymität zu herrschen, wenn die schwarzen Hauptfiguren des Films durch die Neonnächte hochmoderner chinesischer Metropolen laufen. Immer wieder begegnen sie offenem Rassismus (der im Zusammenhang mit der momentanen Pandemie noch stärker zutage tritt) und schotten sich in kleinen Enklaven ab. Doch die Geschäfte laufen im „Eldorado“ China, und das ist noch wichtiger als was oder wo produziert und gehandelt wird. „Forget about other things, focus yourself on business!“, sagt ein Mann, und scheint damit gut zu fahren.

Der Erfolg nimmt vielerlei Gestalt an. Die Ankunft in China selbst ist schon einer: warmes Wasser auf Knopfdruck, Märkte mit Bruchteilen der Preise in der Heimat. Dann neue Geschäftskontakte und Einnahmen, ein neuer Lebensstil mit Partys, Statussymbolen und großen Perspektiven und Freiheiten. Der Film springt zwischen Französisch, Englisch und Chinesisch hin und her, doch daneben gibt es noch eine andere Sprachen: die des Taschenrechners, mit dem beim Verhandeln Sprachprobleme überwunden werden.

Chinesische Stimmen und die von Verlierern dieser Entwicklungen sind kaum zu hören. Probleme wie die Monopolstellungen großer Unternehmen wie Alibaba und WeChat werden kurz angesprochen, spielen aber keine große Rolle. All das, was China in Europa als Orwellsche Diktatur erscheinen lässt, ist im Film gar nicht zu sehen: Social-Credit-System, strukturelle politische Propaganda und Zensur, Umerziehungslager, Überwachung und manches mehr. Black China verlässt hier die eurozentrische Perspektive und taucht ganz in die Ideologie seiner Protagonist*innen ein. Diese lautet Pragmatismus: wenn ich nach Chinas Regeln spiele und Erfolg habe, dann ist daran nichts auszusetzen. Und wer wollte da widersprechen? Was „der Westen“ insbesondere afrikanischen Ländern im Anschluss an eine völkermörderische Kolonialgeschichte geboten hat, lässt sich schwerlich als erfolgreicher Aufbau und mindestens als Ausbeutung beschreiben. Dieses Feld wurde allzu gerne privaten Akteuren überlassen. Aus Sicht des afrikanischen Kontinents bieten sich in und von China ausgehend endlich Möglichkeiten, das lange versprochene Wachstum tatsächlich zu erleben.

Black China verlangt einiges an Kontextwissen, macht aber die Träume und Visionen nachvollziehbar, die China mit seiner Förderung und seinen offenen Armen für den wirtschaftlich schwachen Teil der Welt auslöst. Eine Alternative, in der Europa und das, was wir seine Werte nennen, eine Rolle spielen, kommt in diesem Bild nicht vor.