Alle Schriftsteller sind Egozentriker: selbstreferenziell, narzisstisch, unzugänglich. So auch Daniel Mantovani, seines Zeichens argentinischer Literaturnobelpreisträger. Seine Dankesrede nutzt er lediglich dazu, den durch die kulturelle Elite eingeläuteten Abgesang auf seine Person zu besiegeln. Einladungen zu anderen hohen Ehrungen oder renommierten Kulturveranstaltungen anzunehmen hat er nun nicht nur mehr nötig, sie sind in der Sekunde seines Sieges nichtig geworden.

Doch vielleicht sind alle Schriftsteller auch lediglich hochsensible Wesen, empathische Freigeister, die die Welt auf eine besondere Weise reflektieren. Durch die vermeintliche Krönung einer Karriere, zu der er sich nie entschieden hat, wird er in eine Sinnkrise gestürzt. Als einzigen Ausweg aus seiner deprimierenden Lage, geschichtenlos vor einer Wand voll Bücher, entschließt sich Daniel Mantovani in sein Heimatdorf Salas zurückzukehren.

Nüchtern betrachtet er die Welt, die ihn dort erwartet, genauso nüchtern, wie die Bilder die der Film uns liefert, mit denen er uns einspannt in ein stilistisch zuerst dokumentarisch anmutendes Netz der Begebenheiten. Erwartungslos lässt er sich treiben und strandet dabei in einer dörfischen Huldigungsorgie, die ihn mit den Gründen für seinen Fortgang konfrontiert und gleichzeitig die Frage aufwirft, warum er nicht geblieben ist. Die argentinische Version eines Mettigels wechselt sich hier ab mit einprägsamen Landschaften. Überkommene Traditionen und ein provinzielles Kulturschaffen stehen der Erinnerung an seine große Liebe gegenüber. Starkult und Neid treffen aufeinander.

Die Faszination für die Geschichte eines renommierten Literaten, der uns intime Einblicke in eine Schaffensphase gewährt, in der er versucht, seine Blockaden durch die Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln zu lösen, führt dazu, dass man sich blenden lässt von dem Spiel, das die Regisseure in dieser Inszenierung mit uns treiben. Getragen wird das Ganze von erstklassigen schauspielerischen Leistungen. Durchgehend sehen wir zu, wie die Figuren mit ihren eigenen Wahrheiten und Lebenslügen konfrontiert werden. Es ergeben sich nahezu paradoxe Momente, wie beispielsweise, als Mantovani sich von einem regionalen Fernsehsender interviewen lässt und dabei zu Werbezwecken für eine heimische Lieblingslimonade missbraucht wird. Während einer mit Kitsch überladenen Powerpoint-Präsentation zu seinem Leben, gehalten vor der gesammelten Dorfgesellschaft, beginnt Mantovani unvermittelt zu weinen.

Mit diesem Wechselspiel zwischen Situationskomik und Ernsthaftigkeit werden wir immer wieder zurückgeworfen auf unsere eigene Definitionen von Wahrheit, literarischer Freiheit und moralischer Integrität, wie wenn Daniel darüber nachdenken muss, einen behinderten Jungen zu unterstützen, oder wenn er sich dazu entscheidet, mit einem jungen Groupie zu schlafen, oder wenn er sich schließlich nicht mehr vollkommen hinter seinem Werk verstecken muss.

Der diesjährige argentinische Oscar-Kandidat lässt am Ende keine Fragen offen, wenn er uns mit einer meisterhaften Auflösung des Gesehenen konfrontiert. Mit zwei Stunden ist der Film eventuell etwas zu lang, da er sich zu viel Zeit damit lässt, sich selbst zu offenbaren. Die Realität existiert nicht. Es gibt keine Fakten, nur Interpretationen. Wirklich?

von Julia Pirzer

Eröffnungsfilm des 10. LICHTER Filmfest Frankfurt International am 28.03.2017
Wiederholung: 01. April 2017 um 20:00 Uhr in der Caligari Film-Bühne, Wiesbaden.