Drei Personen befinden sich in einem grau-gestrichenen Raum, entfernt ist der Straßenverkehr zu hören. Zwei Frauen, Mutter und Tochter, sitzen einem älteren Herrn mit hervorstehenden Augenbrauen gegenüber. „Willst du beginnen?“, fragt die Jüngere der beiden und blickt auf ihre Nachbarin. Paweł Łozińskis neuester Dokumentarfilm You Have No Idea How Much I Love You ist in Sachen Ausstattung, Drehort, Varianz der Einstellungsgrößen und Anzahl der ProtagonistInnen so streng minimalistisch gehalten, dass das Publikum Teil der Sitzungen wird und zugleich nicht weiß, wie es das Geschehen einordnen soll.

Die Polinnen Ewa und Hania haben eine schwierige Beziehung, die im Laufe der Jahre zu Schweigen, Einsamkeit und Unverständnis geführt hat. Abwechselnd antworten beide auf die Fragen des Psychotherapeuten. Der Anfang ist schwer. Doch nach und nach und mit viel Geduld trauen sich die Frauen über ihre angestauten Probleme zu reden. In fünf Sitzungen gegliedert, durch lange Schwarzblenden unterbrochen, entsteht ein intimes Porträt, das die Erinnerungen an die vergangenen Ereignisse mit der heutigen Beziehung verknüpft. Liebe und Schmerz liegen dabei dicht beieinander.

Die fast ausschließlich eingesetzten Großaufnahmen vermitteln unmittelbare Nähe, der sich das Publikum nicht entziehen kann. Ein Zucken im Mundwinkel, die sich mit Tränen füllenden Augen, selbst die Struktur der Haut wird dokumentiert. Das gegen die filmischen Konventionen gedrehte Kammerspiel provoziert die Sehgewohnheiten und zwingt die visuell eingeschränkten BetrachterInnen sich Körper, Gesten und Umgebung vorzustellen. Eine bewusste Entscheidung des Regisseurs, wodurch Mimik und Worte beider Perspektiven wie selbstverständlich zu einem homogenen Ganzen verdichtet werden.

Wenige Kameraschwenks verbinden das Gesagte von Ewa und Hania, verleihen dem Film auch eine gewisse Dynamik, die sich jedoch oftmals in Langeweile auflöst. Als Nicht-MuttersprachlerIn fällt es schwer das Gehörte, Gelesene und Gesehene schnell genug zu verarbeiten und nicht den Faden zu verlieren. Die Ausschnitte zeigen immer dieselben Gesichter vor dem selben Hintergrund. Nur die Änderungen der Frisuren oder Kleidung verweisen auf die zeitlichen Abstände zwischen den Sitzungsterminen und bieten geringfügige Abwechslung. Trotz dieser (möglichen) Überforderung sind die Inhalte der Gespräche und die in ihnen wachgerüttelten Emotionen aber nachempfindbar.

In Łozińskis 2013 erschienen Dokumentarfilm FATHER AND SON improvisierte er die Beziehung zu seinem Vater und arbeitete ohne Drehbuch. Ganz ähnlich entwickelt sich YOU HAVE NO IDEA HOW MUCH I LOVE YOU, dessen Wendung am Ende, den Film auf eine ganze andere Ebene hebt. Aufgrund der Arbeit mit einer fiktiven Mutter-Tochter-Beziehung und der Reduktion in der Aufnahmetechnik, wird das Publikum absichtlich manipuliert und orientierungslos in persönliche Gespräche verwickelt, deren Echtheit aber kaum anzuzweifeln ist.

von Irene Brischkowski

NAWET NIE WIESZ, JAK BARDZO CIĘ KOCHAM (YOU HAVE NO IDEA HOW MUCH I LOVE YOU/DU WEISST NICHT, WIE SEHR ICH DICH LIEBE) lief beim 17. GoEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films  als Teil des Dokumentarfilm-Wettbewerbs.