Gewusel. In jeder Ecke passiert etwas anderes. Wir hören Lachen, Fußgetrampel, Hip-Hop und Bewegungsanweisungen. Kinder tanzen auf der Stelle und versuchen den Bewegungen der Lehrerin zu folgen. Die Musik wird ausgeschaltet. Und schon geht es konzentriert weiter im Mathematikunterricht der 2. Klasse.

Der Dokumentarfilm „Favoriten“ von Ruth Beckermann begleitet eine Wiener Volksschulklasse von der 2. bis zur 4. Klasse. Dabei wird das Publikum auf eine Reise durch den Schulalltag der Kinder mitgenommen. Die österreichische Dokumentarfilmerin Ruth Beckermann zeigt in ihren Filmen bewegende Geschichten. „Die papierene Brücke“ etwa setzte sich mit ihrer Familienvergangenheit und ihrer jüdischen Abstammung auseinander.

In „Favoriten“ ist es Lehrerin Ilkay Idiskut, die sich durch ihren einfühlsamen Umgang mit den Kindern und einem gleichzeitig durchgreifenden Erziehungsstil auszeichnet. In unterschiedlichen Szenen vermittelt Ilkay, wie wichtig ein respektvolles Miteinander ist und wie Streitereien gelöst werden können. Der Unterhaltungsfaktor wird über die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Schüler und Schülerinnen aufgebaut. Besonders interessant wird „Favoriten“ durch Momente, in denen sich die Kinder gegenseitig die Bedeutung von deutschen Wörtern erklären. Dabei kommt die Frage nach der eigenen Kultur auf. Eine Definition lautet: „Kultur bedeutet zum Beispiel etwas, das du machst, aber nicht so oft.“ Ganz klar wird der Begriff nicht.

Deutsch ist nicht die Erstsprache der meisten Kinder. Daher achtet Ilkay in ihrem Unterricht darauf, dass die richtigen Wörter zur Anwendung kommen. Die Geduld, die Ilkay an den Tag legt, ist sehr bewundernswert. Sie lässt ihrer Klasse die Möglichkeit, eigene Meinungen zu artikulieren. Gleichzeitig hinterfragt sie gewisse Ansichten. Insbesondere die Rolle der Frau führt in Gesprächen zwischen Ilkay und den männlichen Schülern zu Kontroversen. Sie konfrontiert die Meinungen, die sich gegen ein selbstbestimmtes Frauenbild richten. Insbesondere, wenn sie den Jungs klar sagt, dass auch die Mädchen ihre eigenen Entscheidungen treffen dürfen.

Der Filmtitel „Favoriten“ ist nicht, wie man vielleicht vermuten mag, nur auf die Kinder zurückzuführen. Es handelt sich hierbei um den Namen des 10. Wiener Gemeindebezirks, in dem sich die Volkshochschule befindet. Ein Stadtteil, der sich durch einen großen Anteil von Migranten auszeichnet.

In zwei Ausflügen, welche die Schulklasse unternimmt, werden auch religiöse Gegensätze aufgegriffen: In einer Moschee lässt der Imam die Kinder am Gebetsablauf teilhaben. Der Besuch im Stephansdom wirkt hingegen eher distanziert – vorsichtig sein und nichts anfassen ist hier das Gebot.

Im Verlauf des Films verwandelt sich der Kinosaal in einen Raum, in dem zusammen gelacht und geweint wird. Vorurteile, dass ein Dokumentarfilm über Schulkinder langweilig sein könnte, werden schnell beseitigt. Das Publikum baut zur Klasse emotionale Verbindungen auf und fiebert mit. Man hofft, dass alle ihre gewünschten Noten erreichen und ist gespannt, was als nächstes passiert.

Überraschend ist immer wieder, wie ehrlich Kinder doch sein können und wie die daheim vermittelten Werte und Erwartungen diese jungen Menschen schon beeinflussen. Außerdem erfahren wir, dass viele schon früh mit der Bedeutung von Krieg und Flucht in Berührung gekommen sind. Man merkt, dass die Elternteile ihr Leben in Deutschland neu aufbauen mussten und die Aspekte von Beruf und Bildung problematisch sind. Zudem macht „Favoriten“ auf das überforderte Integrations- und Bildungssystem in Österreich aufmerksam. Der Film „Favoriten“ zeigt mitreißende Geschichten und nimmt uns mit auf eine Reise zurück in die Kindheit.