„Johnny“ ist Der Panther. Johnny ist gefährlich, ein NRW-Gangster. Aber Johnny ist auch erbärmlich. Johnny ist in Wahrheit Johannes. Er ist witzig, obwohl weder die Zuschauer noch seine Mitmenschen wirklich wissen, ob sie über ihn oder mit ihm lachen. Er ist nicht dumm, aber auch lange nicht so klug, wie er glaubt. Aber vor allem ist Johnny ein Spieler, und zwar einer von denen, die sich in erster Linie auf ihr Glück verlassen. Selbst jemand, der keine Ahnung vom Glücksspiel hat, sollte wissen, dass das nicht klug ist. So hat Johnny natürlich überall Schulden und nimmt trotzdem immer größere Risiken auf sich. Sein aktuell größtes Risiko ist, dass er als V-Mann, also als Spitzel, für die Polizei arbeitet.

Als Zuschauer kennt man diese Spielerfiguren zur Genüge. Die, die nicht wissen, wann sie aufhören müssen oder vielleicht auch gar nicht aufhören können. Sei es nun aus dem eigenen Leben oder aus dem Film (so z.B. Adam Sandlers Figur in dem Film Uncut Gems aus dem Jahr 2019). In Johnny herrscht eine Unruhe, eine Hektik, eine Anspannung, die sich stetig entladen muss. Die erklärt sich einerseits durch einen gesunden Kokainkonsum, aber auch durch seine extrem riskante Lage, in der er versucht, die Bullen und seine kriminellen Kollegen über den Tisch zu ziehen, um mit seiner Junkie-Tochter bald nach Vietnam oder Thailand verschwinden zu können. Folglich spielt Lars Eidinger die Figur wie einen Mann, der in seinem Leben noch nie zwei Minuten stillgesessen hat. Ein Klassenclown mit Knarre im Auto, der andere blutig prügelt. Eine Tatsache, die er vor der Polizei auf seinen Kumpel Marek schiebt. Ihn selber würde die ganze Gewalt traumatisieren und er könne nicht mehr schlafen. Eine Behauptung, die ihm weder die Zuschauer noch die Polizei jemals abkaufen werden.

Regisseur Jan Bonny erzählt mit der Figur des Johnny eine teils wahre Geschichte, basierend auf dem beliebten Podcast Zeit Verbrechen, in dem Zeit-Reporter von ihren Recherchen zu den interessantesten Kriminalfällen Deutschlands berichten. Als Krimi- oder Gangsterfilm würde ich das Ergebnis nur so weit bezeichnen, als er von einem Verbrecher handelt. Letztlich stellte sich bei mir eher die Frage, was hinter der Fassade dieses Menschen steckt. Wer ist der echte Johnny? Ein Loser, der sich alles schönreden will, meint einer seiner Geldleiher. Ein umgedrehter Jesus, der will, dass sich alle für ihn opfern, meint die für ihn zuständige Polizeibeamtin. Johnny antwortet in diesen Szenen auf die Psychoanalysen anderer nicht. Weil er weiß, dass es stimmt?

Für sich selbst ist Johnny ein Panther. Dabei bezieht er sich auf das bekannte Gedicht von Rainer Maria Rilke. Wobei Johnnys Boss ihn darauf hinweist, dass er das Gedicht falsch zitiert. Für den Panther gab es keine Welt hinter den tausend Stäben, er dreht sich müde im Kreis. Johnny wiederum rennt mit aller Kraft los, so als wäre die Freiheit gleich am Ende der Straße. Ein weiterer auffälliger Unterschied ist, dass der Panther gefangen und gegen seinen Willen in einen Käfig gesteckt wurde. Zwar kennen wir Johnnys Vergangenheit nicht (die Mutter seiner Tochter ist entweder tot oder hat ihn verständlicherweise verlassen), aber er wirkt auf mich wie jemand, der sich vor langer Zeit selbst in seinen Käfig eingesperrt hat.

Die Figur hat Momente der Zärtlichkeit. Jemand, der tief drinnen daran glaubt, dass er eigentlich ein netter Kerl ist. So kauft er seiner Tochter ein Pferd. Eine Tatsache, über die sie begeistert gewesen wäre, als sie noch zehn Jahre alt war. Den muskelbepackten Schläger Marek behandelt er als seinen besten Freund, und er wirkt sehr verspielt und leidenschaftlich mit seiner Sexpartnerin (für deren Service er bezahlen muss). Doch was davon ist echt? Wo endet die Lüge, die man anderen erzählt und wo die, die man sich selbst auftischt? Letztlich gibt uns der Film keine konkrete Auflösung zu Johnnys Schicksal. Dass die Glückssträhne irgendwann abreißt, kann sich das Publikum eh von Anfang an denken. Manch einer wurde vielleicht sogar sagen, dass es sie niemals wirklich gegeben hat. Die Antwort liegt wohl wieder im Gedicht. Denn der Panther ist allein im Käfig, und auch Johnny rennt allein.