müde, verspannt und etwas neben mir stehend sitze ich in dem kuscheligen sitz des caligari kinos in wiesbaden. fasziniert von der decke starre ich hoch auf die messingfarbenen blätter, hinter der sich lampen verbergen. zunächst kämpfe ich noch mit mir -should i stay or should i go now- ist die frage, die ich mir stelle, bevor der eröffnungsfilm des goeast festivals 2017 MY HAPPY FAMILY läuft. i stayed und ich bin mehr als happy, dass ich dageblieben bin. ganze zwei stunden.

da sitze ich also und warte auf den beginn des films von nana & simon, der schon während der berlinale lief und gelobt wurde und weiß nicht was mich erwartet.

alles, was ich weiß, ist, dass der film MY HAPPY FAMILY heißt, in georgien spielt und voll gut sein soll. das ist er auch: voll gut.

erzählt wird die geschichte der 52-jährigen lehrerin manana, die mit mutter, vater, ehemann, zwei erwachsenen kindern plus schwiegersohn in einer wohnung lebt. manana sieht so aus, wie ich mich grade fühle: erschöpft, abgespannt und irgendwie nicht wirklich da. ständig ist irgendwas. die mutter, die sie nervt, „bring mir doch nach der arbeit bitte dieses und jenes vom markt mit“, der ehemann, der sie drängt ihren geburtstag zu feiern, obwohl sie nicht will. natürlich ist alles nur gut gemeint.

nana & simon skizzieren einen typ frau, den ich selber nur allzu gut kenne. die mater sacrificalis, die sich aufopfernde mutter. eine glückliche familie ist eine, in der sich die mutter hingebungsvoll aufopfert, heißt es in einer stelle des films. aber zu solch einem opferlamm wollen nana & simon ihre manana nicht machen.

manana zieht aus. einfach so. ohne eine begründung. sie packt ihre sachen während mutter und tochter auf sie einreden.

während dieser szene ist meine müdigkeit schlagartig verschwunden. ich darf zusehen wie eine 52-jährige frau, die in einer patriarchalischen gesellschaft lebt, ihre sieben sachen packt und in eine eigene wohnung zieht. sie macht einfach. redet nicht lange drum herum, sondern macht.

mitgerissen von dieser frau begleitete ich sie, wie sie ihr leben lebt und sich wiederentdeckt. radikal, frei und kompromisslos.

the new and improved manana geht zu einem klassentreffen. man begrüßt sich herzlich und freut sich. bald darauf sitzen alle an einem tisch und gedenken derer, die nicht mitfeiern können, da sie bereits verstorben sind.

„wir sind es denen schuldig, die es nicht mehr können, unser leben bis zum ganzen auszuleben“, sagt einer der männer in der runde. von dieser schuld hat sich manana befreit, denke ich mir.

diese sequenz hallt bei mir nach. was sich nach einem plumpen kalenderspruch anhört, ist tatsächlich tiefgründig wie auch banal. wir sind am leben und haben – egal wie verfahren oder aussichtslos eine situation scheint – die möglichkeit, diese zu ändern und sollten unser leben leben- to the fullest. radikal, frei und kompromisslos. aber genug des life improvement talks.

während manana ihren drei freundinnen in einer ruhigen ecke von ihren neuen lebensumständen erzählt, kippt die stimmung. die frauen bestätigen sie in ihrer entscheidung und nebenbei am rande erfährt manana, dass ihr mann eine affäre hatte und mit dieser sogar einen teenagersohn.

mananas neues leben droht aus den fugen zu geraten. benommen schließt sie sich auf der toilette ein und weint.

das will ich nicht für meine manana. nach einer kurzen zeit kommt sie aus der toilette raus und wird von einem angeheiterten Schulfreund dazu gedrängt zu singen.

lasst sie in ruhe möchte ich laut schreien, doch leider würden mich die menschen auf der leinwand nicht hören.

erschöpft gibt sie nach und fängt an zu singen. dieser Moment, in dem die frau, die sich eine neue welt erschaffen hat, eine, die sie nicht mehr von allen seiten erdrückt, diese welt, die zu zerfallen drohte, wirkt so stark und gefestigt wie nie zuvor. fast scheint es, als würde sie sich alles von der seele singen, auf eine ruhige und friedliche art.

manana, mein phoenix aus der asche, meine wonderwoman.

schließlich endet der film, der auch zwei weitere stunden weitergehen könnte.

was mir bleibt, ist ein wunderbares filmerlebnis, welches mich auf eine mitnehmende art an meine familie erinnert hat und das bild einer frau, die sich vom leben das nimmt, was sie will. einfach so.

von handan zeylan

Gesehen beim 17. GoEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films  als Teil des Wettbewerbprogrammes.