Eine Webserie im Kino? Macht das Sinn? Die Antwortet lautet: Ja, und auf verschiedene Weisen.
ENDZEIT repräsentiert eine Form von Bewegtbild, die zunehmend bevorzugt wird. Das Format der Serie wird immer öfter genutzt um komplexen Erzählungen den Raum zu geben, den sie brauchen und ohne dass die Zuschauer*innen gleich 4 Stunden in einem Kino sitzen müssen. Dank Mediatheken ist das Publikum immer seltener darauf angewiesen, sich nach Ausstrahlungsterminen zu richten. Ein möglicher Folge-Schritt ist von vorneherein für das Internet zu produzieren. Doch nicht nur Netflix und Co. gehen mit eigenen Produkten an den Start, die Webserie eignet sich auch für unabhängige Filmschaffende um ihre Arbeiten auf die Reise durch die Netzwerke zu schicken.
ENDZEIT, das sind bisher sieben 15-Minüter, die das gebürtigige Frankfurter Geschwisterpaar Anna und Jan Groos in Österreich gedreht hat. Gemacht wurde die Serie mit österreichischen Fördergeldern und unter „Ausbeutung“ der eigenen Ressourcen – gedreht wurde in der Privatwohnung von Regisseur Jan Groos, mit ihm selbst in der Hauptrolle und seinem Sohn in einer Nebenrolle.
Daniel ist ein Video-Künstler, der mit zunehmendem Erfolg eine zunehmende Abneigung für den Kunstmarkt hegt, der sich ebenso fein in die „kapitalistische Verwertungsmaschinerie“ einfüge wie die Wissenschaft. Seine Partnerin Valérie ist ebenfalls Künstlerin und verdient mit kunstpädagogischer Arbeit den Großteil vom gemeinsamen Lebensunterhalt für die beiden und Daniels Sohn Max.
Als Daniel von seinem Onkel einen Keller voller Survival-Equipment, inklusive pistolenproduzierendem 3D-Drucker erbt, entwickelt sich die Idee aus dem zunehmenden Unbehagen angesichts der „Lebensunfähigkeit“ gut betuchter Mitmenschen, Kapital zu schlagen: Daniel möchte mit dem Pragmatiker Harald eine Firma gründen, die retro-hippe Survival-Rucksäcke und Autarkie-Kurse – beispielsweise zur Hühnerschlachtung – anbietet. Der Name des Projekts: ENDZEIT.
Parallelmontiert sind Sequenzen aus einer nahen Zukunft, in der aus dem fünfjährigen Max ein junger Mann geworden ist. Er wird von einer Frau namens Veronique nach seinem Vater befragt. „Extraktion“ nennt Veronique dieses Verfahren, bei dem sie mit Hilfe einer Kontaktlinsen-Projektion an audiovisuelles Gedankenmaterial aus der Zeit von Daniels Verschwinden gelangen will.
ENDZEIT legt Wert auf einen pointierten Einstieg in jede Episode:
1: Eine leere, weiße Wand, eine Frau kündigt einen Kunst-Preisträger an, leere Floskeln über die gesellschaftskritischen Möglichkeiten von Kunst. Ein Mann (Daniel) tritt vor das Podium. Seine Dankesrede, die eine Beleidigungstirade gegen den Kunstpreis-Gönner (die Firma Siemens) und das Verwertungs- und Vermarktungssystem Kunst überhaupt ist, verhallt in einem Raum ohne Nebengeräusche. Nachdem er proklamiert, dass er nicht länger Künstler, sondern nun Mensch sein wolle, vergrößert sich die Einstellung und wir erkennen, dass es eine Probesituation ohne Publikum war.
Einblendung: ENDZEIT (in großen gelben Lettern, mit zweistimmiger Pfeif-Musik untermalt).
2: Wieder eine leere Wand – diesmal grau – „popp – paff – popp – popp“. Dann sieht man einen Tennisball gegen eine Spielwand prallen, dann Daniel, der den Schläger schwingt.
ENDZEIT.
3: https://www.youtube.com/watch?v=XLQBi-zApxI
ENDZEIT.
4: Laudatorin und Kunsthalle aus Episode 1. Diesmal inklusive Publikumshinterköpfen. Daniel setzt zu seiner Tirade an, bricht ab und geht, tritt nochmal an das Podium und sagt: „Äh, das Geld nehm‘ ich auf jeden Fall trotzdem!“, die Laudatorin reagiert: „Das passiert, wenn man mit Künstlern arbeitet“.
ENDZEIT.
5: „Why do the birds go on singin‘?“ trällert Skeeter Davis in „End of the World“, Daniel zieht sich vor dem Haus seines Onkels um und macht sich auf zu einem Waldstreifzug.
ENDZEIT.
6: Daniel sitzt auf einer Pritsche im Keller seines Onkels, man hört das markante Piepen und Surren eines 3D-Druckers. Dann werden Details von dessen Innenleben gezeigt. Daniel birgt das Ergebnis: eine Pistole. Eine Totale vom Haus, ein Knall.
ENDZEIT.
7: #aufzuneuenwelten in stroboskopisch zwischen gelber und roter Farbe wechselnden Lettern, dazu ein Computer, der Pipi Langstrumpf-Lyrics spricht.
ENDZEIT hat keinen einheitlichen Look, vieles ist nach dem Do-It-Yourself-Verfahren entstanden sieht auch (passender Weise) so. Passend sowohl für das Genre der Webserie, die ihren Ursprung bei Ein-Personen-YouTube-Formen hat, als auch für die Fragen, die die Figuren umtreiben. Diese stammen mitten aus der Lebenswirklichkeit einer bohèmen Generation: Es geht um die Suche nach Selbstverwirklichung, kreativer Freiheit und um ein Leben in Gemeinschaften – ohne Existenzängsten, ohne Abhängigkeit vom „kapitalistischen Verwertungssystem“. Die Attraktion von sich ständig entwickelnden technischen Möglichkeiten auf der einen, und Natur und der Gedanke von „Ursprünglichkeit“ auf der anderen Seite.
Die Präsentation von ENDZEIT als Langfilm im Kino tut der Serie gut. Das bemerkten Regisseur und Regisseurin bereits auf den Filfestivals Diagonale und Max Ophüls, bevor sie die Leinwand des Deutschen Filmmuseums im Rahmen des LICHTER Filmfests zur Hessenpremiere beehren durften.
Die Finanzierung der zweiten Staffel steht aufgrund Umstrukturierungen in der österreichischen Förderlandschaft noch nicht. Unter http://www.endzeit.at/ kann man sich nicht nur die gesamte erste Staffel ansehen, sondern sich auch über die Zukuft des Projekts auf dem Laufenden halten.
Ulrike Melsbach
Zu sehen als Teil der regionale Langfilme außerhalb des Wettbewerbs beim 9. LICHTER Filmfest Frankfurt International.