Eine Wohnung wird neu bezogen, im Hintergrund ist eine singende Frauenstimme zu hören – ein deutscher Chanson über Liebe, Herzschmerz und die große Entscheidung für sich selbst. Die Wohnung nimmt währenddessen Gestalt an, ihre Wandfarbe wechselt von Weiß zu Braun. In Bild und Ton lässt Christoph Hochhäuslers sechster Spielfilm Bis ans Ende der Nacht vorausahnen, dass wir in eine dunkle Welt eintauchen, in der Selbstbestimmung eine große Rolle spielen wird.

Der finale Wettbewerbsbeitrag der diesjährigen Berlinale hat das Internationale Lichter Filmfest in Frankfurt am 18. April eröffnet – eine Fackelweitergabe der besonderen Art. Bei Lichter dreht sich 2023 nämlich alles um das Thema Liebe. So handelt Florian Plumeyers Drehbuch von dem ambivalent-amourösen Verhältnis zwischen dem verdeckten Ermittler Robert Demant, gespielt von Timocin Ziegler, und seiner fingierten Freundin Leni Malinowski, gespielt von Thea Ehre, die zusammen den Boss eines großen Online-Drogenkartells überführen sollen. Leni wurde für diesen Fall aus der Haft entlassen, auf Bewährung zumindest, um den alten Kontakt zum Drogenboss Victor (Michael Sederis) wiederzubeleben. Entsprechend einem Film-Noir-Setting spielt Hochhäuslers Film mitten im kalten Frankfurt mit seinen Drogenkartellen und krummen Geschäften.

Eine schöne, doch dunkle Kulisse mit Skyline-Ausblick; parallel nimmt die Dynamik zwischen bad cop Robert und seinem Gegenpol, Femme fatale Leni, immer abgründigere Formen an. Er ist schwul, sie ist trans*, er ist übergriffig und transphob, sie ist auf der Suche nach ihrem Platz im Leben. Robert kannte Leni von früher, als Leni falsch gelesen wurde – nämlich als Mann. Die Fußfessel zu Beginn des Films, die Robert ihr anlegt, ist auch eine metaphorische: er möchte sie gefangen halten, sie kontrollieren, damit sie nicht selbstbestimmt ist. Der Film enthüllt die Fassade von Lenis früherem Leben und wirft sie in die nächste Inszenierung – auf Kosten ihrer Freiheit, um in Freiheit zu kommen. Der versprochene Deal bei erfolgreicher Ermittlung: keine Rückkehr in den Knast. Doch über welches Gefängnis sprechen wir?

In diesem Dickicht von Irrungen und Wirrungen verläuft die Geschichte, sodass wir als Zuschauer vergessen, dass Leni die Nebenrolle in Hochhäuslers Film spielt. Thea Ehres Darstellung von Leni ist vielschichtig und voller Wärme, zurecht prämiert mit dem Silbernen Bären für die beste schauspielerische Leistung in einer Nebenrolle.

Doch wirft die Dynamik zwischen den beiden Charakteren Robert und Leni viele Fragen auf: Ist es in Ordnung, misogyne und transphobe Gewalt immer weiter zu reproduzieren, um einen Film Noir „noir genug“ werden zu lassen? Sollten nicht die Figuren in Beziehung zu Leni empathischer kuratiert werden? Robert scheint einer dezidiert männlichen Feder entsprungen zu sein und fungiert somit vor allem als Mittel, um ein Gefühl zu erzeugen: Film noir. Ein Genre, in dem traditionell von der Frau Gefahr ausgeht. So rutscht Leni in seiner Nähe häufig in das Klischee einer Femme fatale, die durch Thea Ehres Tiefe erst wieder zur Figur wird. Möglicherweise passiert hier, was bei der Netflix-Produktion „Blonde“ mehrfach kritisiert wurde und dem Film einen unangenehmen Beigeschmack gibt – exploitative Reproduktion von Gewalt. Doch zum Glück ist Leni da – die die große Liebe zu sich selbst entdeckt.