Am 19.02.2020 erschoss ein 43-Jähriger Deutscher neun Menschen mit Migrationshintergrund (Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov) und verletzte weitere. Es ist bekannt, dass der Täter ein rechtsextremes und rassistisches Motiv hatte, da er eine Art Manifest vor dem Anschlag auf seiner eigenen Webseite veröffentlichte.
Julian Vogels Dokumentarfilm „Einzeltäter Teil 3 – Hanau” zählt zu einer Trilogie, die sich mit rechtsextremen Anschlägen in Deutschland beschäftigt. „Hanau“ konzentriert sich dabei vor allem auf die Folgen des Terroranschlags für Familienmitglieder und Freunde der Opfer sowie dessen Überlebende. Der Film beginnt mit einem Voiceover, in welchem die Polizeiakte vorgelesen wird, und verschafft dem Publikum somit einen Überblick über die damalige Situation. Das Voiceover wird zu einem späteren Zeitpunkt für das Verlesen einer weiteren Polizeiakte erneut herangezogen. Dass es spezifisch nur dann eingesetzt wird, zeigt, dass es sich ausschließlich um die dokumentierten Befunde handelt, und stellt somit eine Distanz zum Rest des Films her.
Anfangs sind vor allem Karim Kurtović, Hamza Kurtovićs Bruder, und ein paar seiner Freunde zu sehen, wie sie zu bestimmten Orten in Kesselstadt, Hanau, gehen und sich an Dinge erinnern, die sie dort erlebt haben. Auf diese Weise bekommt man als Zuschauer*in das Gefühl, sie und ihr Leben besser kennenzulernen, aber auch einen besseren Einblick in die Stadt zu erhalten. Dadurch entstehen eine gewisse Vertrautheit und Nähe zwischen den Protagonisten und dem Publikum. Sie werden durch die Einzelinterviews mit den Betroffenen, in denen ihre Wut und Trauer deutlich zu sehen ist, vertieft. Vor allem als die Familien der Opfer über das Versagen seitens der Behörden sprechen, überkommt einen ein Gefühl der Fassungslosigkeit. Fassungslosigkeit über die unsensible Handhabung seitens der Stadt, aber auch über das Ausmaß des Behördenversagens. „Ich glaube ich würde die Polizei nie rufen”, sagt einer der Protagonisten.
Verteilt über vierundachtzig Minuten fällt dieser Satz mehrmals in verschiedenen Variationen. Unabhängig voneinander erzählen die Hinterbliebenen über ihre Konflikte mit der Polizei und über ihre Erfahrungen mit strukturellem Rassismus. Die wiederholte Kritik an jener Institution ist besonders wichtig, da ihr Versagen gravierende Folgen hatte. Aber auch die geäußerte Kritik an der Presse, die diesen Terroranschlag als Einzelfall betitelte, sowie der Vorwurf an verschiedene Behörden ist von Bedeutung, weil sie die Tat verharmlosten und die Familien der Opfer und Überlebenden im Stich ließen. Diese sind nun auf sich allein gestellt, um für Aufklärung, Konsequenzen und Gerechtigkeit zu kämpfen.
Was beim Aufbau des Films auffällt, ist die „Leere” in manchen Szenen. Zwischendurch kommt es vor, dass man die Protagonisten nur schweigend dasitzen sieht oder sich die Kamera um die eigene Achse dreht und das Umfeld filmt. Diese Leere beziehungsweise Stille gibt den Zuschauer*innen Zeit, Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten, aber auch Raum, um kurz die eigenen Gedanken zu sortieren. Insgesamt arbeitet der Film mit reduzierten Mitteln, was es ermöglicht, sich auf die Thematik zu konzentrieren und diese mit der erforderlichen Ernsthaftigkeit zu behandeln.
Insgesamt ist der Film sehr einfühlsam und schafft es, die Zuschauer*innen zu berühren. Er löst ein Mitgefühl für die betroffenen Person aus. „Einzeltäter Teil 3 – Hanau“ dokumentiert damit nicht nur die Folgen eines Behördenversagens, die Radikalisierung rechter Personen oder strukturellen Rassismus, sondern trägt auch zur Solidarisierung bei, die, besonders in solchen Fällen, essenziell ist.