Wie Cem Kayas Musikdokumentation „Liebe, D-Mark und Tod“ an ein vergessenes Kapitel türkisch-deutscher Musikgeschichte erinnert

Wer in Frankfurt aufwächst, wird unausweichlich an einem Punkt seiner Jugend mit Deutsch-Rap konfrontiert – ob man will oder nicht. Auf dem Schulhof, zwischen den blauen Sitzen der S-Bahn oder in den Clubs der Stadt, in Frankfurt scheint der Rap allgegenwärtig. Und verbunden mit diesem Erstkontakt ist unweigerlich auch immer ein Herantasten an die türkische Kultur in Deutschland.

Für alle von uns, die ähnlich wie ich mit Azad, Haftbefehl oder DJ Mahmut und Murat G groß geworden sind, schließt die Musikdokumentation „Liebe, D-Mark und Tod“ von Cem Kaya eine Wissenslücke, deren Existenz wir uns vielleicht noch nicht einmal bewusst waren.

Über eine akribische Zusammenstellung aus Archivaufnahmen, Fotos und Interviews mit Musikschaffenden zeichnet Cem Kaya das Bild der türkischen Musikszene in Deutschland und führt so die in seinem vorherigen Film „Remake, Remix, Rip-Off“ eröffnete Auseinandersetzung mit türkischer Popkultur weiter. Von den Anfängen der Musikbewegung in den 60ern, als Gastarbeiter, die voller Hoffnungen und Sehnsüchte ihre Heimat verließen, die oft grausame Realität Deutschlands erlebten, über den Höhepunkt der Szene in den 70ern, als es auf türkischen Hochzeiten für die Musiker*innen Geldscheine auf die Tanzfläche regnete, bis hin zu deren Ende, geprägt von einer Kulmination der Gewalt und der Rassismuserfahrungen, die sie von Beginn an verfolgte. Und obwohl die drei Teile des Films nominell in Liebe, D-Mark und Tod unterteilt sind, eröffnen sich am Ende Perspektiven: eben auf jene Rapper*innen, die an eine Musik- und Erfolgsgeschichte anknüpfen, die sie selbst kaum zu kennen scheinen.

Der Film erzählt eindringlich über die Probleme türkischer Gastarbeiter und deren Familien in Deutschland, über ihre Erlebnisse von Rassismus und Xenophobie, über ihren Kampf um mehr Gleichberechtigung. Dabei wird er nicht pathetisch und verliert auch keineswegs seinen Humor.

Die Auswahl von Archivmaterial, das innerhalb von doch ambitioniert kurzen 90 Minuten 60 Jahre türkisch-deutsche Geschichte erzählen soll, legt streckenweise ein Tempo hin, das schon fast an Manie grenzt. Die Ambitionen sind groß, manchmal etwas zu groß. Aspekte der Geschichte werden nur kurz angeschnitten und dann doch wieder links liegen gelassen. Besonders der letzte Teil des Films, der zunächst einmal das Ende der türkischen Popszene in Deutschland beschreibt, dann aber doch noch weiter erzählen will über die, die danach kamen, über Teenie-Schwärme und Rap-Stars, scheint ein bisschen aus der Reihe zu fallen. In Liebe, D-Mark und Tod findet sich Stoff genug für drei Filme. Und so wirkt er stellenweise überpackt, übersprudelnd und dennoch keineswegs weniger charmant.

Denn es gibt es auch Momente des Auf- und Durchatmens, allesamt eingeführt durch die bewusst eingesetzte Musik, die sich wie ein roter Faden durch den Film zieht und für die Räume geschaffen werden. Sie gibt ihm nicht nur Struktur, sondern einen ganz eigenen Rhythmus. Sie ist das pochende Herz, unterstrichen von Interviews mit denen, die sie gemacht, gesammelt und geliebt haben.

Vielen Zuschauer*innen – seien sie nun aus Frankfurt oder nicht – wird es ähnlich gegangen sein wie dem Sänger Muhabbet, der aussagt, er habe keine Ahnung von der Musikgeschichte türkischer Gastarbeiter gehabt, obwohl er sich nun selbst als deren Erbe verstehen könne. Der Film erzählt, was gerade den Deutschen zu lang unbekannt geblieben ist. Er löst die Geschichtslosigkeit einer ganzen Musikszene auf und setzt Jungs wie Haftbefehl in den Kontext einer Historie von Heimweh, Hass, Hochzeiten und ganz, ganz vielen D-Marks.

Und wenn man dann noch eine post-credit-Szene zu sehen bekommt, in der einem Musiker ein Traum erfüllt wird, in dem er als Astronaut auf dem Mond seine Baglama spielen darf, in dem ein Lied aus der Türkei nach Deutschland und dann direkt in die unendlichen Weiten des Weltalls wandern darf, dann weiß man, dass man etwas ganz Besonderes gesehen hat.

– Fiona Caesar