Es gibt Filme, die so voller Klischees sind, dass man dabei eigentlich keine Sekunde lang Spaß haben will. Der russische Katastrophenfilme ICEBREAKER ist einer dieser Filme – eine vom russischen Kulturministerium mitfinanzierte Großproduktion, die von dem sowjetischen Forschungsschiff Micheal Gromow erzählt, das 1985 fast fünf Monate im arktischen Eis eingeschlossen ist. Zum Glück spart sich der Film wenigstens das katastrophenfilmtypische „nach einer wahren Begebenheit“.

Echt oder wahr fühlt sich an ICEBREAKER nämlich überhaupt nichts an. Die Mannschaft lässt sich nach wenigen Filmminuten in Gut und Böse einteilen. Die Guten tätscheln sich die breiten Schultern und reißen gemeinsam Witze. Die Bösen kneifen oft die Augen zusammen und beschweren sich heimlich über den gutherzigen Kapitän. Eines gilt für jeden auf dem Schiff: Es sind stahlharte Hunde, die ein Eisbad in der Arktis ohne Schmerzen überstehen und lieber anpacken als diskutieren. Eine Nebenhandlung spielt in Leningrad. Sie erzählt von den Frauen der beiden Kapitäne, die in erster Linie mit zweierlei beschäftigt sind: Unsterblich in ihre Männer verliebt sein und irrationale Entscheidungen treffen. ICEBREAKER ist Macho-Kino. Auf der einen Seite pragmatische Seemänner, die einen Faustkampf so wenig fürchten wie den Tod. Auf der anderen Seite hysterische Frauen, die nur dann Glück empfinden, wenn sie die Bärte ihre Männer küssen.

Klischeekino aus Russland: ICEBREAKER wäre wohl nicht weiter erwähnenswert, würde der Film auf der Leinwand so aussehen, wie es der Inhalt vermuten lässt. Aber das ist nicht der Fall. Die Kameraarbeit ist ambitioniert und zeugt von hohem künstlerischen Anspruch. Manchmal fokussiert sie Nebensächliches, sodass sich das Geschehen am Bildrand abspielt und bloß erahnt werden kann. Selbst die offensichtlich animierte Antarktis wirkt niemals billig. In einer Einstellung leuchtet die Sonne auf dem Schnee, in einer anderen krachen Eisplatten gegeneinander und begraben alle Menschen unter sich. Dass das so gut gelingt, liegt vermutlich an Fedor Lyass, einem der berühmtesten Kameramänner Russlands, der seit einigen Jahren auch in den USA dreht. In den besten Momenten erinnert dessen Arbeit an die des Mexikaners Emmanuel Lubezki, der bereits drei Oscars für die beste Kamera gewonnen hat. Zuletzt für THE REVENANT.

Es gibt Filme, die so voller Klischees sind, dass man dabei eigentlich keine Sekunde lang Spaß haben will. Bei ICEBREAKER misslingt das. Der Film ist ein so gewaltiges Kinoerlebnis, dass man fast vergisst, was für ein Weltbild er propagiert. In Russland ist ICEBREAKER ein Kassenschlager – einem Land, das Minderheiten unterdrückt und das eine schwulenfeindliche Politik betreibt. Dessen Präsident sich mit freiem Oberkörper bei der Jagd fotografieren lässt und dabei genauso machohaft herüberkommt, wie die Matrosen auf dem Forschungsschiff. So bleibt vor allem ein Gedanke, wenn der Film zu Ende ist: Die letzten 120 Minuten haben wenig über den Eisbrecher Michael Gromow erzählt, dafür aber viel über das Russland der Gegenwart.

von Lennardt Loß

Gesehen beim 17. GoEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films als Teil der „Highlights“.