Chinesische Sexpuppen werden liebevoll bepudert, bemalt und für den Versand verpackt, während Arbeiter*innen routiniert die nächsten Modelle bauen. Verschwitzte Männer mit deutlichen Prellungen im Bodyguard-Training; junge Frauen, die im Netiquette-Training das richtige Winken und Umarmen in der Gesellschaft lernen. Wohlhabende Restaurant-Besucher der Oberschicht, dessen Gourmet-Bestellung aus den extravagantesten Optionen besteht und kaum noch essbar erscheint.

Eigentlich hatte Jessica Kingdon nie das feste Vorhaben, Filmemacherin zu werden. Noch weniger war es ihr Plan, China, das Heimatland ihrer Mutter, als Motiv in ihren Filmen zu fokussieren. Doch genau dadurch findet sie in ihren Dokumentarfilmen eine klare Stimme, die uns auf eine unerwartet ästhetische und fast schon künstlich-überschöne Art durch die Gesellschaftsschichten mitnimmt. Auch ihre vorherigen Kurz-Dokumentarfilme Commodity City (2017) und Routine Island (2019) fokussieren Kaufverhalten, Konsum, Massenproduktionen und tagtägliche Fabrikarbeit in China, ohne dabei eine politisch-kritische Position einzunehmen.

Ascension (orig. 登楼叹) wirkt massig, nah, laut und farbenreich auf uns ein und fokussiert den chinesischen Traum des „Nach-Oben-Arbeitens“. Dabei sind es vor allem die Arbeiterklasse und die Spaltung der Gesellschaft, die sie in ihrem Dokumentarfilm in vielen Schauplätzen auf ästhetische Art und Weise einfängt. In langen Aufnahmesequenzen ohne viele Schnitte und Narration observieren wir als Zuschauer*innen Situationen im chinesischen Arbeitsalltag verschiedener Gesellschaftsschichten. Es sind Aufnahmen, die uns in einem Gefühlswirbel aus frustriert, amüsiert und erschrocken zurücklassen. Dabei wechselt die Perspektive im gelungenen Wechsel immer wieder von sehr nah zu weit entfernt und zeigt uns so die kleinteilige Arbeit im Kontrast zu den riesigen Anlagen und Maschinen in China. Die vielen Schauplätze zeigen dabei die eintönigen und anstrengenden Alltage aus Produktionsfabriken und Ausbildungsstätten im dazu starken Kontrast zur Oberschicht, die Restaurants, Wie-werde-ich-Milliardär-Seminare oder Riesen-Schwimmbäder mit 24/7 Vergnügungs-Programm besuchen. Zwischen riesigen Maschinen, Fließbändern, automatisierten Produktionsgiganten und Menschenmassen sind es die kleinen und knappen Szenen, in denen wir von Gesichtern angesehen werden, die gleichgültig, verängstigt oder passiv in die Kamera schauen – sie reißen uns aus dem bloßen Observieren heraus und lassen auf scharfe Weise mitfühlen.

Fragwürdig ist im ersten Moment, wie ein solches Porträt von China im Einverständnis mit der Regierung funktioniert und Detail-Aufnahmen, private Mitarbeiter-Gespräche und klagende Blicke aus den Fabriken erlaubt wurden, was im zweiten Moment aber vielleicht daran liegt, dass die Aufnahmen weniger kritisierend wirken. Vielmehr beobachtet die Kamera aus einem ’neutralen‘ und unpolitischem Blickwinkel, was Alltag in verschiedenen Gesellschaftsschichten bedeutet und ausmacht, ohne diese zu bewerten. Die Bewertung der Bilder bleibt uns, den Zuschauer*innen, überlassen. Menschenmassen, Maschinenmassen, Überwachungsstaat und ständige Kontrolle, Fließbandarbeit und das gesellschaftlich eingeprügelte Must-Do, immer noch besser sein und funktionieren zu müssen (’no pain no gain‘). Besser, schneller, günstiger und dauerhafter Wettbewerb. Trotz oder gerade wegen der ästhetischen Darstellung und den schönen, bunten Bildern der Situationen erzeugt Ascension einen bitteren Beigeschmack und eine schwere Tonalität, die passend zur Thematik ist.

Gefehlt haben inmitten der Maschinen und Schauplätze die Stimmen und Worte der Menschen. Dennoch schafft es Ascension, eintönige, frustrierende und fragwürdige Momente im Alltag der verschiedenen Gesellschaftsschichten der Menschen in China in farbenfrohen und schönen Bildern zu zeigen, was eine große Ambivalenz in mir auslöste. Doch genau das braucht die Thematik. Ein Eintauchen in eine hyperästhetisch-realistische und fast schon künstliche Sphäre, dessen Probleme in der realen Welt tatsächlich existieren.

Lea Nordmann