In Liebe, D-Mark und Tod unter der Regie von Cem Kaya wird die Musikgeschichte in Deutschland ab den 1960ern umgeschrieben – mit türkischsprachigen Stars und Plattenverkäufen in Millionenhöhe.

Gesichter zu sehen und deren Stimmen zu hören gehört zu einem der Grundbedürfnisse der Kommunikation für die meisten Menschen. Die Chance, sich Gehör zu verschaffen und eigene Geschichten zu erzählen, geht damit einher.

Zum Eröffnungsfilm des 15. Lichter Filmfest Frankfurt waren diese Köpfe, die im Vorfeld auf die Bühne gebeten wurden, die Leiterin des Hessisches Ministeriums für Wissenschaft und Kunst, die Vorsitzende der Landesfilmförderung und das Leitungsduo vom Festival selbst. Alle freuten sich, nach zwei Jahren Pause durch Corona das Festival wieder vom digitalen Raum in die physischen Orte Frankfurts zu bringen. Ein Dank ging an Sponsoren, Festivalteam und unbezahlte Volunteers. Busfahrern, Krankenschwestern und den vielen anderen wichtigen Teilen einer Gesellschaft wurde nicht gedankt. Doch dafür ging es im Film auch um dieses Thema. Wer ist Teil einer Gruppe und wird auch als solcher gesehen?

Aşk, Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod erzählt in einer Art Chronik über Interviews und Archivmaterial mehrere Geschichten von Musiker:innen ab den 1960er Jahren, die als sogenannte Gastarbeiter nach Deutschland kamen. In der ersten Generation wurde etwa über harte Arbeit und schlechte Bezahlung in Protestliedern gesungen, über Streiks und das Ignorieren der Arbeitsbedingungen der Migranten durch deutsche Gewerkschaften. (https://www.filmportal.de/film/diese-spontane-arbeitsniederlegung-war-nicht-geplant_0ba0e24522df433b88cda9f3b8692737) Dadurch aber auch vom Aufbauen eigener Strukturen in Deutschland: Etwa beim Handel mit türkischsprachiger Musik, der für Biodeutsche nicht interessant schien. Denn wie viele Menschen mehr oder weniger direkt vom Phänomen der Gastarbeiter beeinflusst wurden, zeigt die Zahl der 3 Millionen verkauften Tonträger von Yüksel Özkasap, der „Nachtigall von Köln“. (https://de.wikipedia.org/wiki/Y%C3%BCksel_%C3%96zkasap)

Doch deutsche Charts der damaligen Zeit interessierten sich nicht dafür. Vor allem nicht, wenn die Sprache des Gesangs Türkisch war. Songs mit deutschen Texten, etwa von Ozan Ata Canani, oder zeitgenössisch rockigem Stil, wie bei Cem Karaca, blieben aber ebenso außen vor. In Gazinos oder auf türkischen Hochzeitsfeiern mit tausenden Gästen ließ sich allerdings auch gutes Geld verdienen. Mit verschärfter wirtschaftlicher Lage in Deutschland und steigendem Rassismus in den 80er und frühen 90er Jahren zeigte sich durch einige tödliche Anschläge auf migrantisch gelesene Menschen ein verbindendes Element aller Musiker:innen im Film in aller Dringlichkeit: Rassismuserfahrung in Deutschland, oder eben Eure Heimat ist unser Albtraum. (https://www.ullstein-buchverlage.de/nc/buch/details/eure-heimat-ist-unser-albtraum-9783961010363.html) Gangsta-Rap mitsamt der Straßengangs wird dadurch zur Gegenwehr gegen die Mehrheitsgesellschaft. Ironischerweise kommen zum Ende der 90er und in den 00er Jahren damit endlich auch Enkel:innen der Gastarbeiter in den Mainstream der deutschen Musik. Mit einer schnellen Abfolge von Fotos der Stars letzter Jahre lösen sich die deutsch-türkischen Gegensätze im Film auf.

Insgesamt fühlt sich dieser für mich teils wie der Fund einer Hitparaden-Platte aus den 80ern an: aus heutiger Sicht etwas fremd, musikalisch passt vieles nicht ganz zusammen, aber trotzdem schwelge ich in Nostalgie und interessiere mich für die Zeit. Die grellen Farben der Zwischentitel und eine gewagte Schriftart trägen zum stylischen Gefühl bei und geben den sehr unterschiedlichen Inhalten etwas Form. Die Aufnahmen aus den Archiven kommen oft aus dem deutschen Fernsehen, manche auch aus privaten Quellen. Drei bis vier Jahre Arbeit in der Recherche und Material aus 39 Archiven lassen den enormen Aufwand anklingen, der mit Songs of Gastarbeiter Vol. 1 (https://www.songs-of-gastarbeiter.com/) an anderer Stelle angefangen hatte. Welche weiteren Schätze der migrantischen Geschichte in den Rundfunkarchiven lagern, kann nur vermutet werden. Die Zugänglichkeit zu diesen Archiven bleibt trotz Finanzierung durch ausschließlich öffentliche Gelder weiterhin nur einigen Wenigen vorbehalten. (https://www.youtube.com/watch?v=rTHIkhSIVeU) Vielleicht ist darin auch die Antwort auf die Frage zu finden, die sich der Regisseur im anschließenden Gespräch im Cantate-Saal stellt: Warum hat so lange niemand diesen Film gemacht?

Doch trotzdem bleibt auch Kritik. Ein Mann aus dem Publikum findet, die zweite Generation sei im Film generell zu kurz gekommen. Außerdem wäre der Kassettenladen in der Nähe vom Frankfurter Hauptbahnhof damals auch sehr wichtig für ganz Deutschland gewesen. Cem Kaya muss lachen und entgegnet, wie das alles in einen 90-minütigen Film soll. Ein Film und eine Bühne reichen für Jahrzehnte verdrängter deutscher Musikgeschichte nicht aus.

– Valentin Herleth