„Die Regierung liebt es, belogen zu werden“, spricht jemand vor dem Ministerium für islamische Führung, während eine verwackelte Handykamera den Fokus auf die dicht besiedelten Strassen Teherans fixiert. Zu fahrlässig würde hier ein Filmteam arbeiten, das seine Kameralinsen öffentlich auf den Redner solcher Sätze richtet. Im Stil dieser tarnenden Smartphone-Ästhetik drehte Masterabsolventin Susanne Regina Meures ihren Abschlussfilm RAVING IRAN. Darin dokumentiert sie das konfliktreiche Verhältnis von Kulturarbeitern und den Gesetzeshütern der islamischen Regierung.

Ihre Protagonisten Anoosh und Arash, engagierte Mittzwanziger, arbeiten sich an einer paradoxen Aufgabe ab: Das DJ-Paar legt unter dem Namen Blade&Beard elektronische Musik auf. Die soll natürlich viele Leute erreichen, andererseits muss jeder ihrer Auftritte im Verborgenen stattfinden. Im Iran sind Techno und Rave unter der Herrschaft von Hassan Rohani strengstens untersagt. Die Gesetze haben sich nach der Abwahl des ehemaligen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad zwar gelockert, die Jugend hat es aber trotzdem schwer. Der islamische Staat reguliert ihre Lebensgestaltung, die islamische Sittenpolizei kontrolliert den Alltag der Bürger. Ein anderer Lebensstil als der vom Islam Vorgegebene ist illegal, verwestlichte Kultur gilt als hedonistisch, gottlos und verpönt.

Doch die Jugend hat schon immer Wege gefunden sich gegen das Establishment aufzulehnen. Notfalls mit den funktionalsten aller Mitteln, die ihr seit je her zu Verfügung standen: Coolness und Musik. Rund um Teheran entwickelte sich im Zuge dieser Rebellion in den letzten Jahren eine kleine Ravekultur. So kommen junge Iraner, abgeschottet von der Grossstadt zusammen, um heimliche Ravepartys in den nächstgelegenen Wüstengebieten zu veranstalten. Als Meures davon erfuhr, suchte sie für ihr filmisches Vorhaben auf Facebook Kontakt zu der Szene auf. Unter den etwa fünfzig von ihr angeschriebenen Leuten waren auch Anoosh und Arash, die in den Kreisen sowohl als DJs, wie auch als Hauptorganisateure dieser Veranstaltungen fungierten.

Nachts, wenn Anoosh und Arash  hinter Mischpult und MacBook, inmitten der heimlich eingeladenen Partymeute verschwinden, erinnert das an Bilder, die heute täglich und überall entstehen, wo junge, feierwütige Menschen zusammenkommen, sei es in Berlin, London, New York, Istanbul oder Tokio.

Am Morgen danach ist wieder alles anders: Mit Katerstimmung und der einkehrenden Ernüchterung darüber, wo man eigentlich Zuhause ist, fordert Anoosh die Frauen auf, ihre Kopftücher und Mäntel beim Verlassen der Party mitzunehmen. Da könnte schliesslich die Polizei vor der Tür stehen, oder die Nachbarn im Dorf dürften neugierig werden. Wer hier unvorsichtig ist, begibt sich in größte Gefahr, Festnahmen sind alltäglich. Die Nacht wird für Anoosh und Arash so zum Zeitabschnitt, in dem die unbeobachtete, von den Repressionen des Staates losgelöste Zelebrierung ihrer Liebe zur Musik kultiviert wird. Jedoch sind sie permanent davon bedroht am Morgenanbruch von den Falschen entdeckt und verraten zu werden.

Irgendwann reichen die Nächte Anoosh und Arash nicht mehr. Als die bevorstehende Street Parade in Zürich – immerhin eines der größten Techno Festivals Europas – die beiden zu sich einlädt, gelingt es ihnen tatsächlich ein fünftägiges Visum zu ergattern. Doch Verreisen macht nachdenklich: „Ich will alles sehen, darf aber nicht. Ich darf gar nichts“, beschwert sich Anoosh im schweizer Hotelzimmer über sein Leben in Teheran. Der brisante Plan dem iranischen Regime auf Dauer den Rücken zu kehren, brennt sich in die Köpfe der beiden ein. In der Zeit, als die Regisseurin Anoosh und Arash auf den Fersen ist, gilt die Schweiz allerdings mit ihrem strengen Asylrecht für viele in Europa als das „Herz der Finsternis“. Als DJs dürfen sie in der schweizer Öffentlichkeit zwar ihre Karriere weiter ausbauen und brauchen sich nicht mehr zu verstecken, doch auch hier ist die neuerworbene Freiheit von nervenaufreibenden Gedanken und Verlustängsten erstmal bedroht. Nun entscheidet eine neue Staatsmacht mit völlig anderen Gesetzen über das Schicksal der Männer.

RAVING IRAN wurde dieses Jahr auf dem 29. EXGROUND Filmfest in Wiesbaden in der Kategorie YOUTH DOKU präsentiert. In dieser Kategorie nahmen Filme teil, die sich mit den Interessen, Sorgen und Nöten der Jugend in allen Teilen der Welt befassen. Susanne Regina Meures ist es hier gelungen, eine globale Brücke zu etablieren, weil sie die Kämpfe um Kulturautonomie und persönliche Freiheit am Beispiel zweier Protagonisten visualisiert, die mit MacBook und der Leidenschaft zum Auflegen, dem fortwährenden Prototyp des Hipsters entsprechen, der ohnehin nur im Globalen zuhause ist. Das Bild jugendlichen Aufstands für die eigene Selbstbestimmung ist natürlich profan, aber, weil es ebenso jedem von uns vertraut ist, lädt es kulturübergreifend zum Liken und Teilen ein.
Am Ende stellt sich vielleicht jemand die Frage, ob Anoosh und Arash von unserem Tanzverbot am Karfreitag überrascht wären. Wer weiß? Vielleicht könnten sie dem Ganzen auch nur ein müdes Lächeln abgewinnen. Doch eins ist klar: Raven vor dem Allmächtigen war noch nie ganz einfach.

Elin Grønhaug

Gesehen auf dem EXGROUND Filmfest 2016 in Wiesbaden.