Wir bedienen uns zwar unserer Münder, um zu sprechen, aber nicht notwendigerweise, um das Innere wirklich zu verlauten. Gedanken und deren Klänge müssen nicht im Einklang sein – falls überhaupt etwas herauskommt. Die Fläche unserer Körper ist lautlos, aber lauter. Unsere Mimik, unsere eigenen Hände – unsere Verräter.

So wie Ungeduld durch die Knie und Arme strömt, als eine hohle, erzwungene Entschuldigung die Lippen verlässt. So wie im Dissens die Streifen eines gepressten Kiefers das leicht gesunkene Gesicht zieren, während die unendlich duldenden Fingernägel über und leicht in die Risse eines Tischrandes hineingehen. Oder wie sich ein Kugelschreiber zwischen den Fingern eines Polizisten im Misstrauen rotiert.

Solche sensiblen, kleinen Beobachtungen integriert die belgische Regisseurin Fien Troch in ihren auf wahren Begebenheiten basierenden Film HOME. Und in diesem Zuhause zeigt sie uns zwei Generationen. Sie sind unter einem Dach, zusammen, aber dennoch separat. Erwachsene und Teenager, wie Wasser und Öl im Glas. Und wenn sich dies Glas der Verhältnisse zu drehen beginnt, lassen sich allmählich Widerspieglungen von Dunkelstrahlen und grauenvolle Korrosion entdecken. Und diese können keine Hände wegschrubben.

Jedoch wenn er in guten Händen ist, ist er ja ein guter Junge. Zumindest behauptet so die Mutter des siebzehnjährigen Kevins (Sebastian Van Dun). Zugunsten des Vermeidens weiterer Konflikte mit seinem Vater, wohnt der Ex-Häftling nach seinem Entlassen bei seiner Tante Sonja (Karlijn Sileghem) und seinem Onkel Willem (Robbie Cleiren), bei dem er eine Ausbildung als Klempner macht. Ein zahm wirkender, hilfsbereiter und mit Worten sparsamer Junge. Eine Erscheinung, die sich schwierig in Verbindung mit Gewalt bringen lässt – und dennoch sind derartige rezidive Ausbrüche die seinigen.

Für ihn, seine Freunde John (Mistral Guidotti), Sammy (Loïc Bellemans), Lina (Lena Suijkerbuijk) und andere vom hormonellen Aufruhr betroffene Altersgenossen ist das natürliche Habitat das im Grasrauch gehüllte Hinter eines Supermarkts und alkoholgetränkte Partys. Ihre Beschimpfungen zischen rapider als ihre Skateboards vorbei und ihre explizite Sexualität tobt und schüttelt wie die Kamera ihrer mit ihnen Eins bildenden Handys. Das beim Durchdrehen vertikal Gedrehte passt zu ihren umgestellten und fast klaustrophobischen Leben, und die Blicke auf Nachrichtaustausche lassen ahnen wie tief die Kluft des Dysfunktionalen ist.

So sind die Mütter ein breites Diapason des Inadäquaten. Aus dem Kontext gerissen, könnte Johns Mutter (Els Deceukelier) fetal positioniert und Tränen aufs Bett vergießend mit einem fragilen, schutzbedürftigen Wesen verwechselt werden. Aber eigentlich ist die einst im Blut Lebensgebende ein missbräuchlicher Blutegel. Und wo sind die Väter? Abwesend.

Durch den verwaschenen, beigen Farbton des Filmes schlängelt und verzweigt sich der manchmal durchs Blut kolorierte rote Faden. Ein dramaturgischer Tumult als Drama der Teenagerjahre mit Missverständnissen, Missbrauch, Ungehorsam, Unwahrheit. Und ein ebenso unheilbringendes, unausgesprochenes Präfix verbirgt sich gewiss dank der eigenen Finsternis vor dem trügerischen Titel HOME. Aber vielleicht lässt es sich vorsichtig mit den Händen abtasten.

von Ivana Mitrić

HOME lief als Eröffnungsfilm des 11. LICHTER Filmfestival Frankfurt International als Teil des internationalen Wettbewerbs zum Thema „Chaos“.