Some things weren’t like this, but maybe they were

Eine Frau mit langen blonden Haaren sitzt, mit dem Rücken zu uns gewandt, an einem Klavier. Mit gesenktem Kopf, die Hände auf den Tasten liegend, hält sie inne. Auf dem Klavier steht eine Pflanze. Darüber links ein Gemälde einer Frau und ihrem Neugeborenen, die sich unter einer Decke einhüllen. Begleitet wird diese Szene von sentimentalem Klavierspiel. Doch der Klang kommt nicht aus dem Klavier – ihre Hände ruhen bewegungslos auf den Klaviertasten. Vielmehr scheint es so, als käme der Klang aus ihrem Inneren. Mit nur einem schmalen Blick auf ihr Gesicht ist ihr Ausdruck zwar nicht zu sehen, aber zu erfühlen.
Als die die Regisseurin Catarina Vasconcelos 17 Jahre alt war, verloren sie und ihre fünf Geschwister ihre Mutter. Ein Ereignis, das auch ihrem Vater zuvor widerfahren ist. In diesem Verlust verbunden, sprechen die beiden von ihrer Familiengeschichte.

„The Metamorphosis of Birds“ („A Metamorfose dos Pássaros“) hat keine klare Erzählstruktur. Sogar die Erzählung selbst ist nur schwer zu durchschauen. Auf 16mm-Film gedreht, schauen wir im 4:3-Bildformat wie durch ein Fenster in eine fragmentierte Gedankenwelt. Dabei ist kaum zu unterscheiden, ob es sich bei dem, was wir sehen, um wahre Geschehnisse, Metaphern oder rohe Gefühle handelt. In der Recherche für den Film stellte Vasconcelos fest, dass die älteren Familienmitglieder zwar gerne von sich erzählten, viele Dinge jedoch lieber unausgesprochen ließen. So nahm sie sich selbst zur Aufgabe, manche Dinge zu erfinden und die Vergangenheit wie ferne Erinnerungen zum Leben zu erwecken. Und dies gelingt ihr paradoxerweise durch die Darstellung von Stillleben. Zwar werden Geschehnisse auch nachgestellt, doch ist das Rudern auf einem Boot die wahrscheinlich größte physische Handlung, die im ganzen Film vollzogen wird. Vielmehr wird Wert auf assoziative Bilder gelegt. Es ist, als wäre die Zeit angehalten. In der Inszenierung und Komposition der Bilder wird erkennbar, dass die Regisseurin einen Hintergrund und ein Talent in den schönen Künsten hat.

Die wortwörtlich traumhaften Bilder des Films sind stets mit Stimmen oder Musik bestückt. Eine fiktionalisierte Version der Großeltern begleitet den Film im Voice-Over und teilt die Familiengeschichten mit uns. Als säßen sie am Bettrand und läsen Gute-Nacht-Geschichten vor. Dabei kommentieren sich Bild und Ton gegenseitig. So spricht das Voice-Over beispielsweise von der Frau als handlungsunfähige und anderen dienende Steckdose, als eine Frau sich vor die Steckdose stellt und die Stimme mit ihrem Föhnen unterbricht. So gelingt es dem Film auf raffinierte Weise, Erinnerungen, Gedanken und die Produktionsgeschichte des Films selbst poetisch darzustellen.

Die Stärke des Films liegt weniger in den Erkenntnissen und Bedeutungen, sondern in den kathartischen wirkenden Gefühlen, die mit den Zuschauer*innen geteilt werden. Dabei nimmt der Film auch Menschen mit, denen nicht ähnliche Ereignisse widerfahren sind, wenn sie denn dazu in Stimmung sind. Der äußerst ausdrucksstarke Debutfilm der Regisseurin befasst sich mit einem tiergreifenden Verlust, der nicht zu begreifen und nicht zu erklären schien. Dabei wirken der Fund und die Suche gleichermaßen wertvoll. Mit „The Metamorphosis of Birds“ ist Catarina Vasconcelos sechs Jahre lang der Unerklärbarkeit auf den Grund gegangen.

Reviewed by: Luca Gerlinger