Versatzstückzirkus oder kohärente Kunst?

Rosa von Praunheims neuer Dokumentarfilm feiert Premiere auf dem LICHTER-Filmfest

Schillernd bunte Paillettenhüte zwischen hochhausgrauen Stadtfassaden, Rebellion, Vergänglichkeit und Mummenschanz: Im Film „Praunheim Memoires“ offenbart sich mit Rosa von Praunheim einer der bekanntesten Pioniere der schwulen Filmszene und zeigt Erstaunliches unter der zirkusbunten Inszenzierung. Die 90-minütige Biografie bewegt sich zwischen Selbstbild und Stadtporträt, zwischen gelungenem Dokumentarfilm und überambitionierter Nummernschau. Sicherlich kein Zufall: Denn von Praunheim ist ein Meister des Spielerischen, er versteht sich als Vertreter assoziativer Kunst. In seinem neusten Film verläuft er sich jedoch allzusehr in den Fragmenten des eigenen Werks.

„Praunheim Memoires“ feiert im Zuge des Lichter Filmfestes in Frankfurt Weltpremiere. Ein Heimspiel praktisch, eine Rückkehr im mehrfachen Sinn. Denn es ist auch nicht der erste autobiografische Dokumentarfilm, den Rosa von Praunheim präsentiert. Während sich der Erstversuch „Pfui Rosa!“ aus dem Jahr 2002 vor allem auf die Sexualität und Schwulenunterdrückung beschränkt, ist „Praunheim Memoires“ auch eine persönliche Erinnerung an Frankfurt. Nachdem der Regisseur, Maler und Schriftsteller 1953 im Alter von elf Jahren mit seinen Adoptiveltern aus Riga über Umwege an den Main kam, fand er dort eine unverhoffte Heimat. „Praunheim Memoires“ offenbart eine große Dankbarkeit, die mancherorts nahtlos in sentimentales Rückerinnern übergeht. „Hier träumte ich von Ruhm, ohne Aussicht auf Aussicht“, singt der städtische Männerchor sowohl im Vor- als auch im Abspann. Eine thematische Klammer, die den Aufstieg eines zunächst Verlorenen beschließt: von Praunheim hat den Gipfel der deutschen (Film-)Kunst längst erreicht.

„Langsam geht das Leben mit mir zu Ende, ich höre schon die Silberglöckchen, die mich einschlafen lassen“, schreibt der Regisseur Anfang 2014 auf seiner Internetpräsenz. Das Thema der Depression, der Rückschau und der Selbstbesinnung wird im zunehmenden Alter relevanter. Der Tod ist ein ständiger Begleiter in von Praunheims neustem Werk, flüstert zwischen Friedhofszenerien und lauert hinter jeder Begegnung. Die Vergänglichkeit begleitet ihn auf der Suche nach alten Weggefährten und zu Schauplätzen früherer Ereignisse. In einer Schlüsselszene des Films begegnet Rosa von Praunheim sich selbst, ein Schauspieler wird gecastet, der ihn in jüngeren Jahren darstellt. Mit rostroter Uniform schlängelt sich der Junge durch beleuchtete Glasfoyers, wirkt wie ein falscher Pinselstrich im richtigen Gemälde. Die Wahrheitssuche, die Sehnsucht nach Sinn und Ordnung im biografischen Chaos prägen den Film von Beginn an.

Von der ersten Wohnung über Studienstationen bis hin zu Café-Diskussionen über Kunst und Sexualität, gewinnt der Zuschauer einen umfassenden Einblick in Persönlichkeit und Arbeitsweise des Regisseurs. Der Film geizt nicht mit Daten und Fakten, verbirgt sie jedoch hinter zunehmender Fikionalisierung. Zu Beginn stellt von Praunheim Gesprächspartner in klassischen Interviewsituationen vor, fragt, ist eher Beobachter als Beobachteter. Erst relativ spät wird er selbst zum Objekt der Kamera, ironisiert sich dabei immer wieder. Ein emotionaler Ausbruch im Gespräch mit dem Enkel seiner früheren Freundin mag nicht recht in das distanzierte Kalkül passen, erzeugt einen überbordendes Gefühl von Pathos. Ähnliche Probleme ergeben sich an weiteren Stellen des Films, an denen die Balance zwischen Spontaneität und inszenierter Steifheit kippt. Mit Voice-Over, Archivmaterial, Fotos aus dem privaten Album und Filmausschnitten formt der Regisseur ein wahres Potpourri an Informationsquellen. Dokumentarisches und Persönliches kreuzen sich und erzeugen an ihren Schnittstellen Einblicke, aber auch Irritationen.

Vergangenes, Vergänglichkeit, Kunst, Kommerz, sexuelle Identität und Stadtgeschichte, ein Zeichentrickfilm mit Badesalz-Humor, Bilder von verbrannten Leichen aus dem Weltkrieg und Close-Ups surrealistischer Gemälde: „Praunheim Memoires“ nimmt sich zu viel und von allem zu wenig. Sicherlich eine selbstreferenzielle Beziehung zur assoziativen Arbeitsweise des Regisseurs. Der Film ist so zwar in seiner Fragmentierung konsequent, scheitert aber an mangelnder Stringenz. „Praunheim Memoires“ möchte zwei Geschichten erzählen: Die eines Stadtteils und die eines Filmemachers. Was am Ende bleibt, ist eine bunte Ansammlung fragmentarischer Versatzstücke, die trotz des Kittmittels interessanter Fakten nicht zusammen gehalten werden kann.