Yves‘ Tochter wurde vergewaltigt. Der Täter ist stadtbekannt, man weiß von seinen Taten. Trotzdem ist er auf freiem Fuß, freigekauft von den korrumpierten Behörden. Für Yves ist das zu viel. Gemeinsam mit anderen Männern aus einem Dorf in Kamerun nimmt er das Gesetz selbst in die Hand.  Seine Schwester spricht später im Film vage von „Verprügeln“, was genau passiert ist bleibt ungeklärt. Letzten Endes ist diese Verzweiflungstat aber auch nur einer der Gründe, weshalb Yves aus seinem Heimatland flüchtet. Das Ziel: Europa.

Melanie Gärtner, die Regisseurin von „Yves’ Versprechen“, hat schon seit einigen Jahren Kontakt zu Yves. Dessen erster Versuch, in Europa Fuß zu fassen, scheiterte in Spanien. Nach dem abgelehnten Asylantrag kam die Abschiebung zurück nach Kamerun, dort zu bleiben war für ihn aber keine Option. Ohne sich bei Freunden und Familie zu melden, trat er die beschwerliche Reise mit dem Schlauchboot erneut an. Von Europa zurückgewiesen zu werden, dort keinen Erfolg gefunden zu haben, ist in den sozialen Strukturen Kameruns gleichbedeutend damit, versagt zu haben.

Als Yves bei seiner zweiten Reise nach Europa in Marokko ankommt, schreibt er Melanie eine Mail. Aus seiner Geschichte entsteht die Idee zum Film, allerdings mit einem unkonventionellen erzählerischen Kniff: Der Fokus liegt nicht auf Yves, sondern auf seiner Familie in Kamerun und deren Umgang damit, einen wichtigen Menschen in die Fremde verloren zu haben.

Für die Umsetzung dieser Idee reiste Gärtner – zuerst alleine, später mit sehr kleinem Team –  nach Kamerun und sprach mit Yves‘ bestem Freund, seinen Geschwistern und seinem Vater. Sie erzählen von Yves‘ Kindheit, schließlich war er doch immer der Liebling der Familie, von seinem gemeinsamen Friseurgeschäft mit Freund Sylvain, von dem tragischen Verlust der Mutter, von Armut und dem Verbrechen an seiner Tochter. Sie schildern uns, mal durch Bildbänder blätternd, mal unterwegs in der Stadt oder dem Dorf, Yves‘ Beweggründe für die Flucht nach Europa.

Verbunden damit sind immer wieder aber auch Forderungen und Ansprüche, die Yves zu erfüllen hat. Mit leeren Händen aus dem beinahe mythisch-verklärt betrachtetem Europa zurück zu kommen, ist keine Möglichkeit. Die Gesellschaft erwartet von ihm Erfolg, den seine große Schwester nur oberflächlich mit Stabilität, Familie und Erreichbarkeit auch in der Fremde skizziert.

Es lastet ein enormer Druck auf den Schultern aller Beteiligten – auf Yves, wegen all der Erwartungen, auf seinen Familienmitgliedern wegen des fehlenden Halts, der fehlenden Hilfe, der fehlenden Unterstützung. Die Dokumentation zeigt also eine intime Momentaufnahme eines von unzähligen familiären Schicksalen, versteht sich zugleich aber auch als spannende Milieustudie einer der westlichen Gesellschaft in mancherlei Hinsicht nur scheinbar fernen Welt.

Gärtner schafft hier zwar eine komplexe Grundlage, indem sie viele Themenbereiche – ob ökonomischer, sozialer oder auch spiritueller Natur – in dieser Momentaufnahme vereint, versäumt es oft aber, dem gezeigten tatsächliche Tiefe zu verleihen. Der Film verlässt sich zu sehr auf seine, sicherlich auch den Umständen entsprechend, nüchtern gefilmten Bilder, ohne aber deren erzählerische Kraft dramaturgisch auszuschöpfen.

Das große Potenzial der im Kern durchaus ambitionierten Idee leidet ein wenig unter handwerklichen Mängeln. Trotzdem: „Yves‘ Versprechen“ ist ein sehenswerter Film geworden, der dann am stärksten wirkt, wenn man sich auf Yves‘ Geschichte einlässt und unbeantwortete Fragen außer acht lässt. Der Kniff des doppelten Perspektivwechsels, weg vom Geflüchteten in Europa hin zu dessen Familie im Herkunftsland, birgt interessante Ansätze für weitere Geschichten und Schicksale – denn diese sind, wie im Falle von Yves, ebenso einzigartig wie zahlreich.