In einem bes(ch)wingten Filmporträt über Carlo Bohländer führt Elizabeth Ok in die kreativen Untergründe Frankfurts in der Nachkriegszeit.

In den Untergeschossen tun sich mitunter ganze Parallelwelten auf, wie jüngst Ulrich Seidl in seinem Dokumentarfilm Im Keller zeigte. Ein Phänomen, das auch Elizabeth Ok geläufig ist. Denn als sie nach dem Bezug einer neuen Wohnung das Kellerabteil inspizierte, machte sie einen spektakulären Fund: die Geschichte des Jazz in Frankfurt, gebannt in Fotos, Schallplatten, Filmaufnahmen und Schriften ihres in vielerlei Hinsicht legendären Vormieters – Carlo Bohländer.

Sich durch den Nachlass des 2004 verstorbenen „Domicile du Jazz“-Begründers, des heutigen „Jazzkellers“, zu wühlen und dessen Geschichte in Form des Dokumentarfilms Carlo, Keep Swingin‘ zugänglich zu machen, ist fast schon eine musikhistorische Verpflichtung. Schließlich gilt Bohländer nicht nur als zentrale Figur der Frankfurter Jazzszene, sondern auch als einflussreicher Theoretiker jenseits der Stadt- und Landesgrenzen.

Und als Widerstandskämpfer. Denn noch während der Zweite Weltkrieg tobte, versammelte der begnadete Trompeter Musiker und Fans im „Hot Club“, um die von den Nationalsozialisten als „entartet“ deklarierte Musik zu spielen. Eine mögliche Inhaftierung konnte Bohländer und seine Zeitgenossen nicht von nächtlichen Jamsessions im Keller eines Trümmerhauses abhalten. Zu groß war ihre Leidenschaft für den Swing, zu stark ihr Drang nach Selbstbestimmung und Freiheit.

Das klingt nach dem Auftakt eines glorifizierenden Films. Nach hochtrabenden Parolen und Expertenkommentaren, die den Zuschauer erst ehrfürchtig staunen und nach der ersten Hälfte gedanklich abschweifen lassen. Doch Ok hat eine weniger konventionelle Herangehensweise gewählt – und auf diese Weise den Zeitgeist der 50er Jahre eingefangen. So holt die Regisseurin die Personen vor die Kamera, die dabei waren, als Bohländer 1952 im tristen Nachkriegsdeutschland das „Domicile du Jazz“ gründete, in dem später Jazzgrößen wie Dizzy Gillespie, Ella Fitzgerald, Bill Ramsey oder Louis Armstrong auftreten sollten. Diese alten Herrschaften sind es, die dem Archivmaterial Leben einhauchen.

Da ist Bohländers Ehefrau Anita, eine Jazzsängerin aus New York, die sich noch immer liebevoll lächelnd über die Eigenarten ihres Mannes wundert. Oder der Konzertveranstalter Fritz Rau, der sich an elektrisierende Nächte im Jazzkeller erinnert und von „Entnazifizierung“ durch Jazzmusik spricht. Oder Saxophonist Gustl Mayer, der zwischen brüllend komischen Anekdoten das damalige Frankfurt als moderne Metropole preist.

Und dann sind da natürlich die Filmaufnahmen von Bohländer selbst, eines Visionärs und Vollblutmusikers, aber auch eines Meisters des hessischen Dialekts und der unfreiwilligen Komik. So sehen wir den gebürtigen Frankfurter, wie er mal mit großem Ernst eine seiner Jazztheorien erklärt, mal über einem leckeren Essen vergisst, dass er gerade interviewt wird, oder vor der Kamera ein spontanes Tänzchen mit einer Dame wagt. Mit anderen Worten: ein Mensch mit Ecken und Kanten, der keine Angst hatte, diese zu zeigen.

So lebensfroh und authentisch wie Bohländer und seine Zeitgenossen sind auch die Bilder des Films. Dominiert vom Splitscreen-Verfahren reihen sich schwarzweiße Konzertmitschnitte aus dem Jazzkeller an Farbaufnahmen biertrinkender Altmusiker. Auf diese Weise verschmelzen nicht nur Gegenwart und Vergangenheit wie selbstverständlich miteinander, sondern es herrscht auch eine stetige Bewegung auf der Leinwand, die den improvisatorischen Charakter der eingespielten Jazzstücke widerspiegelt. Es ist sozusagen ein audiovisueller Swing, zu dem Ok den Zuschauer mit ihrem bunten Filmporträt einlädt. Lediglich die charmante Entstehungsgeschichte wird nicht deutlich, geistern die Aufnahmen aus Bohländers Kellerabteil doch etwas verloren durch den Film.

Abgesehen davon ist Carlo, Keep Swingin‘ nicht nur ein wichtiges Dokument für die Geschichte der Jazzmusik im Nachkriegsdeutschland, sondern auch eine unterhaltsame Ode an die Individualität. An starke Persönlichkeiten, die mit ihrem Mut und ihrer Leidenschaft eine wichtige gesellschaftliche Bewegung ins Rollen brachten, deren Quintessenz Rau in einfachen, aber eindeutigen Worten erfasst: „Wer nicht swingt, ist ein Arsch.“

(Festivalkritik im Rahmen des LICHTER Filmfest 2015)