Ein Affe grinste 2011 in eine Kamera und der Kamerabesitzer wurde verklagt. Der vermeintliche Fotograf David Slater hätte kein Recht am Bild, argumentierte die Tierschutzorganisation Peta, schließlich betätigte der Affe selbst den Auslöser. Inzwischen haben Angeklagter (Slater) und Kläger (Peta und der Affe) sich geeinigt; das Foto wurde durch die Kontroverse doppelt berühmt.

Die beim goEast Filmfestival in Wiesbaden gezeigte Dokumentation THE ANCIENT WOODS bietet keine solchen Aufreger, die Kamera wird von den Tieren brav ignoriert. Tiere in Aktion gibt es aber einige. Die Nüsse hortende Maus folgt auf die lauernde Spinne, folgt auf den sich den Bauch streichelnden Dachs. Die Momente verweilen jeweils ein paar Sekunden; ein Schelm, wer da an eine YouTube-Compilation denkt. Die Aufnahmen aus dem litauischen Wald von Regisseur Mindaugas Survila bleiben unkommentiert, im Film ist kein einziges Wort zu hören. Auch ein Spannungsbogen fehlt fast völlig, aber die Szenen eint eines: Verträumtheit.

Bei erst unbewegten, dann fast tanzenden Lichtpunkten vor dunklem Hintergrund wechselt die Deutung vom Sternhimmel zu Glühwürmchen zur Unterwasseraufnahme. Man muss nicht verstehen, nur fühlen. Und das Spektrum wird bedient, von Ekel über Angst bis hin zur Komik. In den imposantesten Momenten verlangsamt sich die Bildabfolge. Da sieht man dann das Impressionsgehabe von Fasanenmännchen, deren sich gegenseitig so ähnelndes Protzen in der Slow-Motion erst so richtig affig wird. Oder schwarze Störche, vorher beobachtet beim Austauschen gegenseitiger Zärtlichkeiten, die ein Nest aus Fröschen ausnehmen: sekundenlang wird ein Frosch nach dem anderen regelrecht in der Luft verschlungen. Und wenn sich eine Mücke aus der Umarmung des schwindenden Eises befreit und davonfliegt, als wäre sie nicht eben lebendig eingefroren gewesen, eröffnet Survila gleichzeitig fantastische Themenräume wie höhere Gewalt und Wiedergeburt mit einem, Pardon, Flügelschlag.

Wer es keine Stunde alleine auf der Wiese aushält, wird dem Film nicht viel abgewinnen können, für die anderen bietet dieses Experiment in fast-nicht-dramaturgischer Beobachtung Eindrücke einer unberührten Welt. Noch, möchte man fast sagen, denn die Auswirkungen des Monsters Mensch auf die Umwelt sind bekannt. Aber zumindest hier im Sagenwald (so der deutsche Titel) macht die Natur einfach ihr Ding, und wir dürfen zusehen. Und das ohne Ablenkungen, auch wenn wir manchmal nach der Bewegung suchen müssen. Mal wird ein Walddickicht in der Totale mit huschenden Schatten im Hintergrund präsentiert – bis wir den Hirsch auf Verfolgung seines Brunstziels erkennen. Dann wieder fokussiert die Kamera auf einen Grashalm, die Spinne ist erst einmal dahinter. Unser Blickfeld wird nicht erweitert, aber wir sehen genug.

Perspektivenwechsel dienen wenn nur der Verdeutlichung eines Moments, etwa wenn der Elternvogel zur Fütterung der Kleinen kommt, nicht unserer vollständigeren Draufsicht auf die Geschehnisse. Die Kamera mischt sich nicht ein. Auch der Ton wertet nicht, aus dem Geräuschteppich ist nicht eine Quelle als solche hervorzuheben, es knarzt und zirpt vielmehr ungeachtet der menschlichen Ordnungswut.

Der Mensch kommt übrigens nur am Rande vor in dieser Elegie. Einmal sieht man einen Mann auf seinem Hof, er stapft durch den Schnee. In der Mitte des Films steht er auf einmal inmitten des Waldes und staunt. Ein Fremdkörper, zeigt er uns auch unsere Position als Zuschauer auf. Der Aufreger hier, für mich nicht aber für andere schon: Eine Natur, die so vollendet ist, die braucht den Menschen nicht. Konsequent wäre es, dieser Film würde nicht existieren. Zum Glück muss man nicht immer konsequent sein, Affe und Fotograf haben sich ja auch geeinigt.

von Laura Steiner

THE ANCIENT WOODS läuft im Wettbewerb des 18. GoEast-Festivals in Wiesbaden.
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