Am Waldrand in Niedersachen fährt ein Auto die Straße entlang. An jeder Abzweigung steht hier ein Wohnmobil. Die Frau am Steuer hält an einem davon und steigt fluchend aus. Uschi ist die „Vermieterin“ von mobilen Bordellen. Die Scheibe dient als das Schaufenster, das die Ware gut beleuchtet anpreist. Wie durch einen Kristall blickt man in das geschmückte Innenleben.

Sie ist eine Ausbeuterin, erklärt ihr der Pfarrer der Stadt sachlich. Natürlich sieht sie das anders, denn sie gibt den Frauen ja eine Arbeit und kümmert sich um sie! Vielleicht sieht sie das in ihren Augen wirklich so. Mit 13 Jahren wurde Uschi von ihrer Mutter das erste Mal an einen Mann verkauft. Ihr strahlendes Grinsen wird zu einer Maske, als sie davon erzählt. Mit 18 Jahren traf sie dann einen amerikanischen Soldaten. Das erste Mal das Gefühl von Liebe, von Schutz. Sie entflieht allem und zieht für fünf Jahre in die USA. Solange, bis er sie betrügt. Alles, was passiert, schlägt an eine Tasse, aus der immer wieder Teile abbrechen. Irgendwann ist keine Tasse mehr da – erklärt sie auf ihre spezielle Art. Auch sie wohnt alleine in einem Wohnwagen.

Verlorenheit

Die beiden Frauen, die exemplarisch in dem Dokumentarfilm „Lovemobil“ von Elke Margarete Lehrenkrauss bei ihrer Arbeit begleitet werden, sind Rita aus Nigeria und Milena aus Bulgarien. Selbst ihre beste Freundin weiß nicht, als was sie arbeitet, erzählt Milena. Ursprünglich bekam sie einen Job als Putzfrau bei einem Bekannten in Deutschland, doch am Ende erweist es sich als die Arbeit einer Sex-Sklavin. Zwei Monate später gelingt ihr zwar die Flucht, aber sie bleibt allein in einem fremden Land. Im Wohnmobil sitzt sie nun jede Nacht regungslos im Schein einer intensiven, blauen Lichterkette und das Ambiente lässt mit einem Schaudern an Krzysztof Kieslowskis „Blau“ aus der Drei-Farben-Trilogie denken. Analogien zur Unmöglichkeit von Freiheit. Auch Rot und Weiß sind, wenn man sucht, zu finden, zwischen dem Wald und der Straße, die die Wohnmobile wie Mauern einrahmen.

Der Besuch von Milena bei ihrer erwähnten Freundin bietet dabei filmisch einen wunderbaren Gegenpol, und ist einer der wenigen Momente, bei dem das Wohnmobil-Szenario verlassen wird. Auch hier schafft der Film auf der einen Seite Freiraum, auf der anderen Seite Intimität. Hier würde liebenswerte Hilfe und Unterstützung auf die junge Frau warten. Warum geht sie doch wieder zu dem Wohnmobil zurück? Die Frage bleibt offen, aber wahrscheinlich würde sie sie mit Geld beantworten. Oder mit dem Millionär, den man treffen könnte. Jede arbeitet hier zwar für das Ziel, von dort wegzukommen, doch erst mit ausreichend Geld in der Tasche. Die Angst wird dabei als Begleiter angenommen. Bedrohungen und Gewalt sind an der Tagesordnung. Eine ist bereits ermordet worden. Die Jäger und die leichte Beute im Wald?

Geplante Unberechenbarkeit

Die Regisseurin lässt alle Hauptfiguren selbst ihre Geschichten erzählen, legt aber in vielen Szenen die Tonspur im Schnitt über die geschlossenen Münder der Frauen. Während sie so dann, wirklich wie eine leblose Ware, regungslos verharren, hört man ihre Gefühle entfremdet aus dem Hintergrund. Besonders bei Ritas Szenen fällt dieser sehr fein betonte Umgang mit Musik und Sprache auf, welche die einfühlsame Darstellung der Frau immer wieder unterstützt: Während sie bewegungslos und sorgenvoll durch den dunklen Wald blickt, hört man sie leidenschaftlich ein Gospel-Lied singen. Mit solchen kleinen Details lebt der Film zusammen mit seinen Charakteren, schenkt ihnen eine innere Kraft und einen hohen Wert: nämlich den menschlichen.

Auch erzeugen die Einstellungen ein sensibles Verhältnis von Nähe und Distanz, denn in prekären Momenten kann sich der Zuschauer aus dem Geschehen zurückziehen und der Situation selbst entfliehen. Damit gibt der Film in seiner Darstellungsweise dem Betrachter mehr Spielraum als die Frauen diesen in ihrer Realität haben. An einigen Stellen wirkt die Handlung zwar ein wenig (nach)gespielt, jedoch schmälert dies den Wert der Dokumentation in keinem Moment. Jede der Frauen – und wirklich jede! – bekommt in ihrem Dasein ihre eigene Liebenswertigkeit; in dieser Extremsituation einer zweifelhaften Vermarktung am Straßenrand.