Es ist eine übliche Vorgehensweise geworden, durch Selbstironie ein Bewusstsein über den eigenen Lebensstil und die damit verbundenen Fehler und Albernheiten vorzutäuschen und sich somit gegen Kritik von außen abzuschotten. Diese Selbstironie ist meist jedoch nicht wahrhaftig und zelebriert das scheinbar Kritisierte. Auch der Film SELBSTKRITIK EINES BÜRGERLICHEN HUNDES von Julian Radlmaier, sein Abschlussfilm an der deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, tappt in diese Falle. SELBSTKRITIK EINES BÜRGERLICHEN HUNDES bleibt ein Versuch einer Selbstkritik, unwissentlich entblößt er dabei eine Gesellschaft, die sich bereits in unehrlichem Zustand als ehrlich betrachtet und deshalb niemals wirklich ehrlich ist oder sein kann. Die entblößte Gesellschaft ist hier das Milieu junger Künstler Berlins, die sich in einem künstlerischen Studium befinden oder es bereits abgeschlossen haben und versuchen ihren Lebensunterhalt ohne körperliche Arbeit zu verdienen.

Die Hauptrolle wird von Julian Radlmaier selbst verkörpert, sie stellt ein Alter Ego dar, den jungen Regisseur Julian, der, von Geldsorgen geplagt, aus der Kunstszene Berlins heraus auf eine Apfelplantage geht. Er wird von Camille, einer Kanadierin, begleitet, weil er ihr weisgemacht hat, dort für einen kommunistischen Film zu recherchieren und sie gerne als Hauptdarstellerin hätte. Julians Versuche eine Liebesbeziehung aufzubauen scheitern. Auf der Apfelplantage angekommen stoßen weitere Figuren dazu, sie sind durchweg interessant, und es ist vor allem ihre Geschichte, die der Film nun erzählt. Julian und dessen Beziehung zu Camille geraten in den Hintergrund. Auf der Apfelplantage entsteht ein kommunistischer Revolutionsgedanke, der dazu führt, dass Camille mit dem älteren Koreaner Hong und dem Schweizer Sancho sowie dem stummen Mönch, der auf der Plantage auftauchte, nach Italien gehen, um den dortigen Kommunismus ohne Kommunisten aufzufinden, den der Mönch versprach. Julian ist indes bereits wieder in Berlin und erhält eine Drehbuchförderung.

Der Film namens THE PURSUIT OF HAPPINESS wird auf einem Festival präsentiert und beinhaltet die bisher erzählte Geschichte mitsamt allen Schauspielern, die im Publikum sitzen, während Julian auf der Bühne Zuschauerfragen beantwortet und sich in einen Windhund verwandelt, der den Film immer wieder kommentiert. Der Film im Film versucht, genau wie die Verwandlung, eine Meta-Ebene zu eröffnen, die allerdings nur kurz angerissen wird – es scheint ein Ziel zu fehlen. Der Film geht noch ein wenig weiter, doch die Geschichte ist erzählt. Es ist eine ideenreiche Geschichte, die durchaus komische Züge hat, die aber ziellos und ohne Wirkung vorbeizieht. Es ist sehr schade, dass das Potential, das SELBSTKRITIK EINES BÜRGERLICHEN HUNDES zweifellos besitzt letztendlich ungenutzt bleibt. Die langen Einstellungen, meist Totalen mit erkennbarer Struktur in der Bildkomposition bei heute seltenem 4:3-Format, und die dadurch entstehende Komik, zeugen von vorhandenem Talent, bleiben aber nur eine schwächere Kopie des bekannten Wes-Anderson-Stils ohne eigene Handschrift.

Die Dialoge funktionieren, die Schauspieler und deren häufige Nutzung der englischen Sprache fallen nur selten störend auf, doch zu einem guten, funktionierenden Film und einer erfolgreichen Selbstkritik fehlt SELBSTKRITIK EINES BÜRGERLICHEN HUNDES nicht nur eine charismatische Hauptfigur, sondern überhaupt ein Bewusstsein über die eigene Tätigkeit und die Kunst, die nur in Wahrhaftigkeit entstehen kann. Es ist eine nette Geschichte und es sind schöne Bilder, die der Film uns bietet, doch Julian Radlmaier scheint selbst nicht zu wissen, was sie bedeuten sollen – und das merkt man.

von Tom Luca Adams

Gesehen beim 10. LICHTER Filmfest Frankfurt International als Teil der neuen Reihe „Zukunft deutscher Film“.
Bundesstart am 08. Juni 2017 in knapp 30 deutschen Städten. In Frankfurt zu sehen im Mal Seh’n Kino.