Michael Baumanns „Willkommen bei Habib“
Eigentlich müssten Kulturen wie Regentropfen sein, die miteinander verschmelzen, wenn sie sich treffen. Stattdessen sind sie wie Eis und Öl, sie bleiben getrennt, selbst wenn sie kollidieren.
Zweimal wirft ein Protagonist in Michael Baumanns episodaler Tragikkomödie „Willkommen bei Habib“ (alternativer Titel: „Habib Rhapsody“) einen Eiswürfel in Raki, zweimal beobachtet er, wie sich die Flüssigkeit trübt. Ein rascher Schnitt, eine Nahaufnahme, ein wissend-verklärtes Lächeln: Der Film kommentiert in diesen Momenten nicht nur den physikalischen Louche-Effekt, sondern auch Migrantenproblematik.
Ein aktuelles Thema in Deutschland, auch jenseits von Kopftuch und Statistik: Vor der vibrierenden Kulisse des Wilhelmsplatzes kreuzen sich die Wege von vier männlichen Protagonisten. Rentner Ingo (verzweifelt emotional, stets auf den Punkt: Klaus Manchen) flieht aus dem örtlichen Krankenhaus, um nach vierzig Jahren endlich wieder Kontakt zu seiner Tochter aufzunehmen. Manager Bruno (transportiert Starrheit in jeder Körperfaser: Thorsten Merten) hat angeblich Gelder veruntreut und wird entlassen. Aus Protest startet er einen Sitzstreik auf der Verkehrsinsel direkt gegenüber von Habibs kleinem Imbiss (väterliche Type mit Altherrencharme: Vedat Erincin). Habibs Sohn Neco (leider mit ungewollter Steifheit: Burak Yiğit) gerät währenddessen an die falschen Geschäftspartner und verläuft sich zwischen einer deutschen und einer türkischen Liebe. Nach rund zwei Stunden Familienstudie bleibt ein Gefühl von Uneindeutigkeit, bisweilen auch von Unentscheidbarkeit.
Die Figur des Habib fungiert als Bindeglied zwischen den beiden nationalen Sphären, er tritt als einziger mit allen anderen Protagonisten in Kontakt. Sein gleichnamiger Imbiss ist nicht nur Schmelztiegel deutsch-türkischer Esskultur, sondern auch als Begegnungsstätte. Das Warten wird dabei zum zentralen Moment: Ingo harrt einer Nachricht seiner Tochter, Bruno auf ein Zeichen seines Chefs, Neco und Habib auf den Sonnenaufgang. Am Ende wartet man dann eben gemeinsam, auch wenn man nicht mehr so genau weiß, worauf.
Die episodale Struktur des Films bleibt in „Willkommen bei Habib“ häufig Selbstzweck. Zufälligkeit der Begegnung in der Großstadt spielt keine Rolle. Statt auf Formales konzentriert sich Michael Baumanns Rhapsodie eher auf Motivik. Altlasten und Verdrängtes liegen wie dampfender Müll unter hart antrainierten Gewohnheiten. Das Erklimmen eines Laternenmastes wird zum Symbol gegen das Scheitern und für den Neuanfang. Das ist nicht immer stilsicher, manchmal auch polemisch. Die penetrante Metaphorik der Emulsion stört bisweilen, mit plakativer Wichtigkeit wird das Bild des Eiswürfels selbst im Abspann platziert. Dennoch bennent Michael Baumann damit die Grundtendenz seines Films: Zugehörigkeiten und Entscheidungen, die zunächst bestimmt erscheinen, verlieren ihre Klarheit. „Ich dachte immer, dass man bloß eine Heimat haben kann“, gibt Protagonist Habib gegen Ende reuig zu.
„Willkommen bei Habib“ funktioniert vor allem in den changierenden Zwischentönen, in den Augenblicken zwischen Familientradition und Migrantenheimat, zwischen witzigem Komödiencharme und melancholischer Momentaufnahme. Manchmal lässt sich der Film zu Eindeutigkeiten verführen, die ihm nicht gut tun: Die Metaphorik des Eiswürfels ist nur eine davon. Am meisten spürt man dieses Problem in Brunos Episode, die allzusehr als klassische Abmahngeschichte gegen Einsamkeit und Kapitalismus dient: Der Wolf wird nach langer Odyssee zum Herdentier.
Stark ist hingegen, dass Ingo seinen Seelenfrieden bloß durch eine weitere Lüge findet, die er selbst für Wahrheit hält. Das Gewebe an Unklarheit löst sich am Ende also allerhöchstens scheinbar auf. Der Film bleibt bis zur letzen Einstellung eine Emulsion, ein Zwischenton – eben eine Eiswürfel-Rhapsodie.