Roadmovie und Taxifahrten, lange und stille Blicke zwischen Charakteren gepaart mit intimen Dialogen – das ist bekannt. Auf den internationalen Erfolg von Drive My Car folgt Wheel of Fortune and Fantasy, ein dreiteiliger Episodenfilm von Oscar-Gewinner Ryusuke Hamaguchi.

Es sind die Leben dreier Frauen im heutigen Japan, die im Zentrum der drei Episoden stehen. Lose oder kaum miteinander verbundene Geschichten, in denen menschliche Beziehungen von schicksalhaften Zufällen beeinflusst werden, als hätte man am Glücksrad gedreht. Ein Liebesdreieck zwischen Ex- und Neubeziehung mit deutlichen Kommunikationsproblemen, eine unglückliche Studentin, die einen Professor mit Worten zu verführen versucht, und zwei Frauen, die sich zufällig begegnen und glauben, es sei Schicksal. Es ist fast schon eine gewisse Vertrautheit zwischen Regisseur und Publikum, die im Kinosaal zu spüren ist, insbesondere durch die detailliert geschriebenen Dialoge. Die Schauplätze wechseln von Studenten- und Sprechstundenzimmer zu einem Bahnhofsübergang und Wohnzimmer einer Fremden, was die Themen Distanz und Nähe widerspiegelt. Klavierklänge aus Schumanns „Kinderszenen“ unterstützen die träumerische Stimmung dabei und lassen am Ende bei allen Beziehungen die Frage offen, wie es weitergeht.

Es sind Themen wie zwischenmenschliche Distanz und Nähe und der Wunsch, gesehen und verstanden zu werden, die Hamaguchi durch die sehr nahe, schon fast klaustrophobisch wirkende Nähe der Kamera zu seinen Figuren einfängt. Mal langsam und subtil, dann wieder stark und deutlich, zeigt er uns gesellschaftliche Probleme auf, die nicht nur Japan betreffen. Die Distanz ist hier zwischenmenschlich, familiär und gesellschaftlich geprägt. Wann genau ist sie angebracht, erwünscht oder fehl am Platz? Wann durchbrechen wir die Barriere? Und achten wir dabei auf die Reaktion unseres Gegenübers? Sprechen wir über das Unglücklichsein, über Unsicherheiten oder nicht in die Norm der Gesellschaft passende Wünsche und Fantasien? Diese Fragen wirft Wheel of Fortune and Fantasy in allen drei Episoden sanftmütig auf.

Vielleicht waren es die hohen Erwartungen nach einer emotionalen Verbundenheit wie mit den Charakteren von Drive My Car, die nicht erfüllt wurden. Oder aber die Entscheidung, drei Kurzgeschichten in einem Film darzustellen, die schon irgendwie, aber nicht immer vollständig nachvollziehbar miteinander verbunden sein sollen. Während Episode Eins und Zwei die Fragilität zwischenmenschlicher Beziehungen und damit einhergehender Emotionen aufzeigen, versucht Episode Drei mit Griff ins Science-Fiction-Genre etwas viel, obwohl es dies nicht braucht. In einer Welt, in der ein einziger E-Mail-Virus das World Wide Web zunichte gemacht und dabei hochprivate Informationen Aller verbreitet hat, treffen zwei Frauen aufeinander, die sich eigentlich noch nie gesehen haben, aber beide glauben, die jeweils andere aus Schulzeiten wiedererkennen. Hier hätte allein die Betonung auf die spontan entstehende Beziehung zwischen den Frauen gereicht.

Insgesamt gefällt mir der Film nach 48 Stunden sehr viel besser als unmittelbar nach dem Sehen. Vielleicht braucht es einfach eine gewisse Zeit zum Nachdenken und Reflektieren. Beim diesjährigen 15. Lichter Filmfest war jedenfalls dem Thema „Freiheit“ ein thematischer Schwerpunkt gewidmet. Während und nach dem Kinobesuch von Wheel of Fortune and Fantasy lässt es sich grübeln über das Konstrukt und die ganz persönliche Definition von ihr. Und inwieweit identifizieren wir uns und andere über unsere Sehnsüchte? Ein knapp zweistündiges Eintauchen in diese Fragen macht einen lohnenden Besuch aus.

Lea Nordmann